Flüssiglinsen
Keine mechanischen Elemente, geringerer Stromverbrauch, höhere Stoßfestigkeit - Linsen aus Flüssigkeiten sollen zahlreiche Vorteile gegenüber herkömmlichen Konstruktionen bieten.
- Flüssiglinsen
- Vorteile der Flüssiglinsen laut Hersteller
In Zoomobjektiven sitzen häufig zehn und mehr Linsen verteilt auf zahlreiche Gruppen. Zum Scharfstellen und Zoomen werden dann die einzelnen Gruppen gegeneinander verschoben. Mit wesentlich weniger Bauteilen kommen die neuen Optiken von Varioptic aus. Varioptic, ein französischer Technologieanbiet...
In Zoomobjektiven sitzen häufig zehn und mehr Linsen verteilt auf zahlreiche Gruppen. Zum Scharfstellen und Zoomen werden dann die einzelnen Gruppen gegeneinander verschoben. Mit wesentlich weniger Bauteilen kommen die neuen Optiken von Varioptic aus. Varioptic, ein französischer Technologieanbieter für optische Bauelemente mit Sitz in Lyon ersetzt herkömmliche Glaslinsen mit festem Radius durch "Flüssig"-Linsen mit variablem Radius: Die "Flüssiglinse" ändert je nach angelegter Spannung ihren Krümmungsradius, was entweder die Fokusebene verschiebt oder bei mehreren zusammen eingesetzten Flüssiglinsen die Brennweite des Objektivs ändert.

Das erste Einsatzgebiet der neuen Linsen sollen die Kameramodule von Mobiltelefonen sein. In kompakten Handys ist kaum Platz für herkömmliche Zooms und Autofokuskonstruktionen. Ohne Autofokus reicht aber bereits in der 2-Megapixel-Klasse die Schärfentiefe nicht mehr für eine optimale Schärfe vom Nahbereich bis unendlich aus. Hinzu kommt der Stromverbrauch herkömmlicher Lösungen und die Anfälligkeit gegen Stöße: Wenn eine Kamera fällt, ist die Optik meist defokussiert; bei einem Handy darf das nicht passieren. Die Antwort von Varioptic lautet: winzige Autofokuslinsen auf Wasser- und Öl-Basis ohne mechanische Komponenten. Mit diesen Flüssiglinsen sollen sich Probleme wie der zu hohe Stromverbrauch, die zu empfindliche Mechanik und die zu voluminöse Baugröße der Objektive meistern lassen.
Millimetergroße Objektive Das Linsengehäuse ist im derzeitigen Entwicklungsstadium bereits auf eine Zylindergröße mit einem Durchmesser von 10,5 mm bei 2,4 mm Höhe zusammengeschrumpft. Die Linse mit einer Apertur von wenigen Millimetern soll 88 bis 96 Prozent des Lichts im Wellenbereich von 350 bis 750 Millimeter durchlassen und eine Reaktionszeit von 100 Millisekunden besitzen. Statt einer herkömmlichen Mechanik nutzen die Entwickler von Varioptic die elektrischen Eigenschaften der Substanzen Wasser und Öl: Wasser reagiert als Dipol auf elektrische Spannungen, während Öl unbeeinflusst bleibt. Vereinfacht dargestellt, befinden sich die beiden Flüssigkeiten in zwei Schichten voreinander angeordnet in einem winzigen zylindrischen Trog - vergleichbar mit zwei Linsen in ihrer Fassung.

Die Vorder- und Rückseite des Trogs sind jeweils mit einer lichtdurchlässigen Platte abgeschlossen. Der zylindrische Trog ist aus elektrisch leitfähigem Material, leicht konisch geformt und im Bereich des Öls mit einer dünnen Isolierschicht versehen. Wer nun eine Spannung anlegt, kann den Radius der Grenzfläche zwischen den beiden Flüssigkeiten steuern und so den Radius und damit die Brennweite der Linse ändern.
Die physikalischen Grundlagen dieser elektrisch steuerbaren "Flüssiglinse", den elektrischen Kapillar- oder Electrowetting-Effekt, hat der französische Physiker und Nobelpreisträger Gabriel Lippmann bereits 1875 entdeckt.
Mit der neuen Technik sollen sich Gegenstände in einer Distanz von vier Zentimeter bis unendlich scharf abbilden lassen. Neben klassischen Aufnahmen wie Porträt, Landschaft oder Makro könnte die Technik so auch für Fingerabdruckscans, Text und Barcode-Erkennung genutzt werden. Wird, um Gravitationseinflüsse zu minimieren, ein Öl mit gleicher Dichte wie das Wasser gewählt, dürften Linsendurchmesser bis 10 mm realisierbar sein.

Zoom mit FlüssigtechnikAuch das optische Zoom findet sich unter den Entwicklungsvorhaben der Forscher von Varioptic. Bereits Ende diesen Jahres will das Unternehmen einen stabilen Dreifach-Zoom auf Öl-Wasser-Basis fertiggestellt haben. Das Prinzip zum Erzeugen des optischen Zooms ist dabei denkbar simpel: Es werden einfach zwei Flüssig-Linsen miteinander kombiniert.
Da die Linsen und bei dieser Bauweise auch das optische Zoom ohne mechanische bewegte Bauteile arbeiten, sollen sie besonders haltbar und weniger reparaturanfällig sein als die herkömmliche Mechanik eines Objektivs. Auch bei starken Erschütterungen sollen sich nach Aussagen der französischen Entwickler die Flüssigkeiten nicht vermengen. Zudem seien sie bis unter minus 40 Grad frostsicher. Kochen würden die Lösungen erst bei mehr als 130 bis 140 Grad. Als weiterer Pluspunkt gilt der niedrige Stromverbrauch der elektronischen Flüssiglinsen: Auch bei Spannungen bis 40 Volt bleibt der Stromverbrauch im Bereich weniger Milliwatt. Das ist ein Bruchteil des Energiebedarfs eines Motors einer mechanisch bewegten Linse. Bei hoher Materialgüte und einer ausgereiften, exakten Produktion sei auch eine Reduzierung der Spannungsanforderung auf 20 Volt vorstellbar.
Bis Ende des Jahres soll die Entwicklung der Flüssiglinse abgeschlossen sein. Zudem muss Varioptic noch die Baugröße des Zooms verkleineren, da es derzeit mit etwa zwei Zentimeter Höhe für den Einbau in Mobiltelefone zu dick ist. Die Miniaturisierung könnte mit Hilfe von Spiegeln über eine "Faltung" des Strahlengangs erfolgen.
Wenn alles planmäßig läuft, kommen - nach rund zehn Jahren Forschung - bereits im Laufe des nächsten Jahres die ersten Handys mit integrierten Flüssiglinsen-Digitalkameras auf den Markt. Der Preisaufschlag für die Flüssiglinse gegenüber herkömmlichen Systemen ohne Autofokus soll bei zwei bis drei Euro liegen - wenn für den Massenmarkt produziert wird. Bereits im März 2004 konnte Varioptic Samsung Elektro Mechanics (Semco) als ersten Lizenzpartner gewinnen. Der in der Produktion von Digitalkamera-Objektiven für den Massenmarkt erfahrene Technologiepartner wird die Flüssig-Autofokuslinsen fertigen und vertreiben.
