Ich sehe was, was du nicht siehst - Kritik zum Netflix-Film
Mehr zum Thema: NetflixKult-Regisseur Wes Anderson verfilmt Roald Dahls beliebte Kurzgeschichte und schart dafür einen ganzen Haufen an Hollywoodstars um sich.

Günstig dürfte das Gesamtwerk von Roald Dahl auf keinen Fall gewesen sein. Verschiedene Quellen berichten von Summen irgendwo zwischen 600 Millionen und bis zu einer Milliarde Dollar, die sich Netflix die Rechte an den Büchern des britischen Autors kosten ließ. Bei solch einer Summe sollte dann ...
Günstig dürfte das Gesamtwerk von Roald Dahl auf keinen Fall gewesen sein. Verschiedene Quellen berichten von Summen irgendwo zwischen 600 Millionen und bis zu einer Milliarde Dollar, die sich Netflix die Rechte an den Büchern des britischen Autors kosten ließ. Bei solch einer Summe sollte dann auch eine ganze Menge an Output für den neuen Rechteinhaber herausspringen und so wirft Netflix innerhalb weniger Tage gleich vier Dahl-Verfilmungen auf die hauseigene Plattform.
Verantwortlich für diese vier Filme (Ich sehe was was du nicht siehst, Der Schwan, Der Rattenfänger, Gift) zeichnet sich dabei Wes Anderson (Asteroid City, The Grand Budapest Hotel). Der renommierte Hollywood-Regisseur ist jedoch keineswegs der einzige große Name, der sich hierbei die Ehre gibt. Mit Mit Ben Kingsley, Dev Patel, Richard Ayoade, Ralph Fiennes und Benedict Cumberbatch bietet Anderson auch noch eine ganze Handvoll an Schauspiel-Granden für sein Dahl-Projekt auf.

Worum geht es in "Ich sehe was, was du nicht siehst"?
Auf einer Reise durch den tiefen indischen Dschungel stößt ein Junge auf einen alten, weisen Yogi, der die Kunst der Levitation gemeistert hat. Der Gelehrte gewährt dem Jungen einen Einblick, wie sich der menschliche Geist über die Welt erheben kann. Von nun an versucht sich der Junge jeden Tag in den asketischen Übungen des Meisters.
Es dauert viele Jahre, doch schließlich vermag es der Schüler, seine Konzentration so weit zu steigern, dass er Dinge um sich herum sogar mit geschlossenen Augen sehen kann. Als Hauptattraktion eines Zirkus reist er von nun an durch das Land, bis seine Geschichte einem faszinierten Arzt zu Ohren kommt, der sie daraufhin zu Papier bringt.
Die Aufzeichnungen jenes indischen Arztes fallen schließlich dem gelangweilten, reichen Briten Henry Sugar in die Hände, der seine Tage mit Wetten und dem Verprassen seines Reichtums verbringt. Zum ersten Mal in seinem Leben ist Henry Sugar von einer Idee wirklich begeistert. Er will sich die geheimen Yogi-Techniken zu eigen machen und auf diese Weise sein bereits beträchtliches Vermögen noch vervielfachen.
Sugar erweist sich dabei als überaus begabter Schüler. Schon nach drei Jahren vermag er es, ganz ohne seine Augen und durch Dinge hindurchzusehen. Sein erster Weg führt ihn nun ins Casino, wo er sofort eine riesige Summe Geld gewinnt. Zu seiner Überraschung empfindet er jedoch keine Befriedigung über den Gewinn. Verzweifelt befindet sich Henry Sugar nun am Scheideweg seines Lebens. Was soll er mit seiner enormen Gabe anfangen, die ihm keinerlei Genugtuung verschafft?

Wie gut ist "Ich sehe was, was du nicht siehst"?
"The Wonderful Story of Henry Sugar" wie Dahls Geschichte im Originaltitel heißt, zählt zu den bekanntesten Werken des Autors und man könnte fast meinen, während der knapp 40 Minuten Spielzeit Andersons Respekt vor Dahl zu spüren. Anderson adaptiert die Geschichte nämlich weniger zu einem eigenständigen Film, als dass er die Erzählung vielmehr (nur) erneut vorträgt, um ja nicht zu viel zu verändern. Gleichzeitig packt der texanische Filmemacher so viel seiner handwerklichen Markenzeichen dazu, damit das Ganze am Ende immer noch deutlich nach Wes Anderson aussieht.
Die allesamt fraglos hervorragenden Schauspieler rattern den Text der Geschichte dabei so schnell es ihnen ihre Lippen erlauben mit starrem Blick in die auf sie gerichtete Kamera herunter, offenbar mit dem vorrangigen Fokus nur kein Wort von Dahls textlicher Grundlage verloren gehen zu lassen.
Auf diese Weise wirkt all dies schließlich eher wie ein Mix aus Theater und Lesung denn wie ein tatsächlicher Film und die Figuren oft mehr wie bloße Platzhalter denn wie echte Menschen. Auch das ist auf eine eigenwillige Art noch immer durchaus unterhaltsam, es ist allerdings fast ein wenig tragisch, dass sich Andersons Film, trotz all seiner wunderbarten Set-Ideen, seiner brillanten Schauspieler und der in ihrem Kern so anrührenden Geschichte, die meiste Zeit dennoch so kühl ja mitunter fast seelenlos anfühlt.
Ich sehe was was du nicht siehst
"Ich sehe was, was du nicht siehst" - Fazit
Wes Andersons Kurzfilm strömen die Markenzeichen des Regisseurs in jeder Sekunde aus jeder einzelnen Pore - so sehr, dass sich "Ich sehe was, was du nicht siehst" teilweise fast wie eine Karikatur des eigenen Schaffens anfühlt. Jeder Satz wird direkt in die Kamera gesprochen, schnell heruntergerattert und ohne große Emotionen. Jedes Bild ist in sanften Pastelltönen, in perfekter Symmetrie bis ins letzte Detail genauestens durchchoreographiert. Mehr Wes Anderson geht kaum - und doch fehlt etwas.
Andersons Kurzfilm wirkt oft wie eine Fingerübung, wie viel Wes Anderson sich in einen Wes-Anderson-Film packen lässt. Durch die extreme Stilisierung bleibt so aber stellenweise leider auch ein wenig das Herz der an sich durchaus berührenden Geschichte von Roald Dahl auf der Stelle. Durch den hervorragenden Cast, die schöne Geschichte und die schrullige Optik ist "Ich sehe was, was du nicht siehst" noch immer ein kurzweiliger Spaß für alle Altersklassen, ein filmisches Highlight ist Andersons Schnelllese-Theater am Ende aber leider nicht.
- Wertung: 3/5 Sterne
- Verfügbar auf: Netflix
- Dauer: 37 Min
- Regie: Wes Anderson