Staatliche Zensur des Internets greift um sich
Das Internet hat Umwälzungen in der arabischen Welt beschleunigt und wird von vielen als Freiheitsmedium gefeiert. Tatsächlich aber wird es so stark kontrolliert und zensiert wie nie. Zwar gibt es Möglichkeiten, die staatlichen Sperren zu umgehen. Aber dabei leben die Nutzer erst recht gefährlich.

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Viele halten das Internet für einen freien Raum, in dem jeder sagen kann, was er will, und die Informationen bekommt, die er braucht. Schließlich hat das Internet den Umsturz in einigen Ländern der arabischen Welt begünstigt und gilt als Demokratiebeschleuniger. Tatsächlich aber ist es der grö...
Viele halten das Internet für einen freien Raum, in dem jeder sagen kann, was er will, und die Informationen bekommt, die er braucht. Schließlich hat das Internet den Umsturz in einigen Ländern der arabischen Welt begünstigt und gilt als Demokratiebeschleuniger. Tatsächlich aber ist es der größte Überwachungsapparat, den sich vorstellen lässt.
Verwehrte Inhalte
Von den 1,8 Milliarden Menschen, die auf der Welt online sind, können mehr als 1,7 Milliarden nicht durchs Netz surfen, ohne dass ihnen staatliche Stellen Inhalte verwehren. Das hat die OpenNet Initiative ermittelt, ein Zusammenschluss aus Forschern der Universitäten Harvard und Toronto, die weltweit den Einsatz von Internetfiltern untersuchen.
Die staatliche Zensur fängt an, wo kinderpornografische Inhalte gesperrt werden. Wogegen noch keiner groß etwas haben kann. In viel mehr Ländern als man denkt reicht sie aber bis zur Komplettüberwachung und sogar bis zur Verfolgung von Surfern und Bloggern. Jeder dritte Internetnutzer lebt inzwischen in so einem Staat und hat keinen freien Zugang zum Netz und dessen Inhalten, beklagt die Organisation Reporter ohne Grenzen.
Das Internet ist arabischer und asiatischer geworden, zugänglicher und schneller. Das fürchten nun genau die autoritären Staaten, die ihre Bevölkerung lieber vom Rest der Welt abschirmen möchten. Ihre Zensur wird immer strenger und die Zahl der Inhaftierten immer größer.
Augenblicklich sitzen mindestens 128 Internetnutzer im Gefängnis, weil sie ihre Meinung in Blogs sagten, politische Podcasts einstellten oder von Demonstrationen twitterten. Aber das sind nur die Fälle, von denen die Welt weiß. "Die Dunkelziffer liegt um ein Vielfaches höher", sagt Anja Viohl von Reporter ohne Grenzen. Allein in China sitzen 77 Internetaktivisten hinter Gittern.
Die Volksrepublik hat mit der "Great Firewall of China" ein Internetkontrollsystem aufgebaut, das sogar dem iranischen den Rang abläuft. Zugang zum Netz gewährt im Iran nur die Telecommunications Company of Iran, die von den revolutionären Garden kontrolliert wird. Diese lassen hunderttausende internationale Webseiten blockieren.
Seit Sommer 2006 gibt es eine Zentralstelle, die Inhalte filtert - nach selbst definierten religiösen, moralischen und politischen Standards. Zudem späht die iranische Cyber Armee soziale Netze aus, sperrt die Profile von Facebook-Nutzern und hackte Twitter. Es ist nicht so, als könnten Aktivisten nicht über Facebook ihre Ansichten verbreiten. Nur leben viele nicht mehr, die es taten.
Alles wird abgehört

Internetnutzer, die in solchen Ländern leben, sagen: "Man kann davon ausgehen, dass hier alles aufgezeichnet, abgehört und mitgelesen wird." Die Staaten fühlen sich dabei völlig im Recht. In Bahrain lautet die Begründung des Direktors der Telekommunikationsbehörde für die Zensur: "Wir haben hier im mittleren Osten eben eine Kultur, die viel konservativer ist."
Meinungsfreiheit werde ja garantiert, aber nur "solange sie in den Regeln der Höflichkeit bleibt." Die chinesische Regierung argumentiert, jedes Land müsse eben die eigene Sicherheit wahren und sich gegen Terrorismus wappnen. Deshalb habe auch jeder Staat das Recht, Inhalte bestimmter Internetseiten zu filtern. Das täten ja ohnehin alle.
In China vergibt die Regierung im Alleingang Lizenzen für Webseiten, erfasst die Personalausweise aller Internetcafebesucher und untersagt strikt den Aufruf bestimmter Seiten. China setzt dazu Filterverfahren auf mehreren Ebenen ein: an staatlichen Netz-Knotenpunkten, bei den Providern, und direkt in Programmen.
Die Great Firewall blockiert systematisch den Zugang zu bestimmten IP-Adressen, so sind viele Seiten von Wikipedia sowie Facebook, Twitter, LinkedIn und Xing nicht abrufbar. Das bestätigen nicht nur User, sondern auch Traceroute-Tests, die versuchten, diese Seiten aus China abzufragen.
Die Seiten von Verschlüsselungsanbietern sind zwar nicht blockiert, aber auffällig oft funktionieren sie nicht korrekt oder sind unglaublich langsam.
Während wenige arabische Staaten dem Nutzer wenigstens die ehrliche Rückmeldung geben, "Sorry, diese Seite ist aus politischen und religiösen Gründen gesperrt", lassen andere nur dubiose Fehlermeldungen ausspucken oder drosseln die Geschwindigkeit, bis dem Nutzer die Lust vergeht.
Ob hier nur technisch etwas nicht funktioniert oder die Zensurbehörde eingeschritten ist, erfährt offiziell keiner. Selten ist die Lage so klar wie in Libyen: Als der Aufstand Mitte Februar seinen Höhepunkt erreichte, stand das Internet mehrmals still. Danach lief der Datenverkehr nur im Schneckentempo.
Das lässt sich auf dem Google Transparency Report ablesen. Libyens größter Internetprovider gehört dem ältesten Sohn des Dikators, Mohamed Gaddafi.