Der Streit ums Urheberrecht
Tauschfreunde und Rechteverwerter streiten in ungewohnter Heftigkeit um die Zukunft von immateriellen, künstlerischen und geistigen Werken im Internet. Wer soll künftig wie Geld dafür bezahlen?

Die Zeit drängt, denn Verlage, Musik- und Filmindustrie beklagen Verluste. Der jährliche Schaden durch illegale Downloads könne kaum gesichert berechnet werden, so Dr. Holger Enßlin vom Vorstand der Gesellschaft zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen beim Medientreffpunkt Mitteldeutschland...
Die Zeit drängt, denn Verlage, Musik- und Filmindustrie beklagen Verluste. Der jährliche Schaden durch illegale Downloads könne kaum gesichert berechnet werden, so Dr. Holger Enßlin vom Vorstand der Gesellschaft zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen beim Medientreffpunkt Mitteldeutschland im Mai in Leipzig. Man wisse ja zum Beispiel nicht, ob der jeweilige Nutzer das Produkt gegen Geld heruntergeladen hätte. "Es geht um mehr als 20 Milliarden Euro jährlich allein in Deutschland", schätzte er.
Das sei lediglich Gejammer einer aussterbenden Industrie, die es versäumt habe, rechtzeitig Geschäftsmodelle für neue Zeiten zu entwickeln, schallt es aus der gegnerischen Ecke. Die ihren Urhebern alle Rechte für viel zu wenig Geld abnehme ("Total Buy-out") und nun Angst vor den unkontrollierbaren Veröffentlichungsmodellen und Verbreitungswegen im Netz habe.
Der deutsche Musikmarkt festigt sich
Die Gemüter erhitzen sich sowohl an Gedankenspielen zu Überwachungssystemen zum Aufspüren von Filesharern wie auch am Kopierschutz, der rechtschaffenen Käufern den Umgang mit dem ehrlich erworbenen Produkt erschwert. Im Prinzip hat jeder irgendwie Recht - und alle sind sauer.
Dabei scheint sich zumindest der deutsche Musikmarkt gerade zu festigen: Laut Bundesverband Musikindustrie hat dieser 2011 einen Stabilisierungskurs eingeschlagen. Der Gesamtumsatz der Musikindustrie stieg um 0,1 Prozent auf 1,67 Milliarden Euro. Dabei sei das stärkste Wachstum bei den digitalen Musikverkäufen zu beobachten gewesen - deren Umsatz legte um 21,2 Prozent zu, auf 247 Millionen Euro. Der Umsatz aus Downloads habe insgesamt 203 Millionen Euro betragen (+28,8 Prozent).
Urheberrecht betrifft nicht nur Musik und Film
Doch die Schlacht tobt nicht nur um Musik oder Filme, sondern genauso um Software, E-Books, journalistische Texte, Fotografien... Selbst der Umgang mit verwaisten Werken, die noch urheberrechtlich geschützt, deren Rechteinhaber aber nicht mehr feststellbar sind, ist in der Diskussion - ebenso wie eine Verkürzung der Schutzfristen, die gegenwärtig 70 Jahre nach Tod des Urhebers betragen.
Offene Briefe an alle

Derweil schreiben Musiker, Regisseure, Tatort-Autoren, Tausende Schriftsteller und Intellektuelle weiter offene Briefe, starten Kampagnen und appellieren ans vergrätze Publikum. Netzbürger verfassen Antwortschreiben. Lobby-Organisationen schlagen ihre Pfosten ins Feld. Urheber finden sich dabei auf beiden Seiten des Kampfes.
Die Fronten sind verhärtet. Von verbaler Aufrüstung im Stellungskampf zeugen bereits seit Beginn an Totschlagvokabeln wie Content-Mafia und Raubkopierer. Dabei haben angeblich (fast) alle den Urheber lieb und tun das alles nur für ihn. Auch die Piratenpartei Deutschland, deren Einzug in mehrere Landesparlamente etliche Ängste befeuerte, beteuert im Parteiprogramm: "Wir erkennen die Persönlichkeitsrechte der Urheber an ihrem Werk in vollem Umfang an."
Das Urheberrecht sorgt für Diskussion
"Jeder durchschnittliche Jugendliche begeht einmal pro Stunde Urheberrechtsverletzungen - kopiert Bilder, setzt einen Link auf ein geschütztes Video", sagt der auf Internetrecht spezialisierte Kölner Rechtsanwalt Christian Solmecke. "Früher haben Jugendliche Fotos aus der Bravo ausgeschnitten und in ihr Album geklebt. Dafür mussten sie nichts zahlen. Heute heften sie die Fotos ihrer Stars an ihre Facebook-Pinnwand und sollen 2000 Euro berappen."
Und wer weiß, ob ein Jugendlicher noch einmal Geld in ein Album seines Stars investiert, nachdem er für ein Lied oder ein Foto abkassiert wurde. Auch Künstlern wie Jan Delay wird es beim Gedanken daran wohl ungemütlich - bereits letztes Jahr postete er auf Google+, dass er "dieses ekelige kriegsgewinnler geld" aus dem Abmahngeschäft nicht haben wolle. Die VG WORT, eine von 12 Verwertungsgesellschaften in Deutschland, mahnt in ihrem Positionspapier zum Urheberrecht ebenfalls zum "Augenmaß" bei privaten Urheberrechtsverstößen.
Urheberrecht novellieren
"Ich plädiere deshalb für Erleichterungen im privaten Bereich", fordert Rechtsanwalt Solmecke. Überlegenswert ist, ob Urheber die Weiterverwendung ihrer Werke dulden müssen, sofern dies erkennbar privat geschieht." Und wenn eine Masse der Bevölkerung mit dem derzeitigen Urheberrecht nicht konform gehe, müsse man eben über eine Veränderung nachdenken. Solmecke sieht als Alternative "die Entlohnung der Urheber über die profitierenden Web-2.0-Plattformen wie Facebook oder YouTube."
GEMA gegen Youtube: Das berühmteste Beispiel

Quasi stellvertretend für die gesamte Branche schwelt ein rechtlicher Dauerstreitstreit zwischen der Verwertungsgesellschaft GEMA und YouTube um die Haftung für Urheberrechtsverletzungen.
Im April sprach das Landgericht Hamburg dazu ein Urteil: Wird YouTube auf eine Urheberrechtsverletzung hingewiesen, "trifft den Portalbetreiber die Pflicht, das betroffene Video unverzüglich zu sperren und im zumutbaren Rahmen geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um erneuten Rechtsverletzungen vorzubeugen." Eine Verpflichtung zur Kontrolle sämtlicher auf die Plattform bereits hochgeladener Videoclips bestehe aber nicht.
Nun geht die Auseinandersetzung in die nächste Runde, beide Parteien legten Berufung ein. Außerdem streitet die GEMA mit YouTube um angemessene Vergütung der von ihr vertretenen Künstler. Selbst eine neue Verwertungsgesellschaft für unter Creative Commons (CC) veröffentliche Musikwerke steht als Alternative zur GEMA in den Startlöchern: Die Cultural Commons Collecting Society soll noch in diesem Jahr gegründet werden und den Marktzugang von CC-Musik vereinfachen.
Ziel: Reform des Urheberrechts
Auch die Parteien debattieren, wie eine Reform des Urheberrechts konkret aussehen soll. Ein Zankapfel ist zum Beispiel das geplante Leistungsschutzrecht für Presseverlage. So liegt der Referentenentwurf aus dem Bundesjustizministerium für die dritte geplante Überarbeitung des Urheberrechts, den Dritten Korb, bislang nicht vor. Bereits 2010 gab es Anhörungen.
Nach zwei Jahren verliert die Kreativbranche nun langsam die Geduld - so forderte die Deutsche Content Allianz die Justizministerin Ende Mai auf, noch vor der Sommerpause "konkrete Vorschläge für eine Weiterentwicklung des Urheberrechts vorzulegen". "Die Verschränkung der Akteure erlaubt im Moment keinen großen Wurf und kein Superreformgesetz, das alle Interessenkonflikte der digitalen Welt auf einmal lösen könnte ...", schrieb Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 30. Mai 2012.
Auf jeden Fall wird die Netzgemeinde jeden Schritt kritisch beobachten. Wie mächtig der Widerstand werden kann, haben die Proteste gegen ACTA gezeigt, das Handelsübereinkommen der World Trade Organization zur Bekämpfung von Produkt- und Markenpiraterie. Als "unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhandelte Bürokratiemonster" sei es zu Recht am massiven Widerstand gescheitert, meint Medienrechtsexpertin Antje Karin Pieper.
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