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Behavioral Marketing

Werbemaßnahmen abstimmen durch Nutzer-Analyse

Behavioral Marketing versucht das Verhalten der Nutzer zu analysieren und Werbemaßnahmen darauf abzustimmen. Nicht immer bedarf es dazu der ganz großen technologischen Keule. Doch der Trend ist klar zu erkennen: Statische Websites sterben aus.

Autor: IntMag • 22.5.2014 • ca. 12:25 Min

Behavioral Marketing
Behavioral Marketing
© jackfrog - Fotolia.com

Personalisierung hat nicht immer was mit großem Aufwand zu tun! Rob Giglio war es herausgerutscht, bevor sein Chef einschreiten konnte. Giglios Chef ist Brad Rencher, Vizepräsident beim Softwareriesen Adobe, verantwortlich für den Teil des Unternehmens, den noch immer kaum einer kennt: Adobe erwi...

Personalisierung hat nicht immer was mit großem Aufwand zu tun! Rob Giglio war es herausgerutscht, bevor sein Chef einschreiten konnte. Giglios Chef ist Brad Rencher, Vizepräsident beim Softwareriesen Adobe, verantwortlich für den Teil des Unternehmens, den noch immer kaum einer kennt: Adobe erwirtschaftet inzwischen ein Drittel des Umsatzes mit Werkzeugen für Online-Marketing. Nein, nicht Photoshop und Illustrator, sondern Software wie Adobe Social, den Experience Manager oder Test & Target.

Produkte, die dazu dienen, Besucher auf Websites zu beobachten, daraus Schlüsse zu ziehen und passgenaue Inhalte einzublenden. Und Giglio ist schnurstracks ins Fettnäpfchen getreten. Personalisierung war das Thema und es ging um die Frage, was Adobe selbst im eigenen Online-Shop da so macht. Und das ist derzeit durchaus spannend, denn Adobe hat sich entschieden, ab sofort Photoshop und Co. nur noch im Abo zu vermieten. Das ist Direktvertrieb par excellence.

Im eigenen Online-Shop personalisiert Adobe also auch, und zwar mit der rudimentärsten aller Methoden, dem so genannten Persona-Modell. Personas sind grundlegende Nutzertypen, die sich signi kant in ihrem Verhalten und ihren Bedürfnissen unterscheiden. Innerhalb der jeweiligen Persona-Gruppe ist das Verhalten aber vergleichsweise homogen. Und der Adobe-Shop kennt genau zwei Nutzertypen: "Studenten" und "Sonstige". Kommt ein User von einem Universitätsserver, spielt ihm der Shop andere Seiten aus, als wenn der gleiche Nutzer abends vom heimischen Rechner aus eine Verizon-Verbindung nutzt. Der Hintergrund dieser Personalisierung ist denkbar simpel: Studenten sind die Kernzielgruppe für Adobe.

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Welche Daten haben Sie von Ihren Besuchern und wie können Sie diese verwenden?
© Adobe

Ihnen werden die Softwareprodukte zu einem Bruchteil des Vollpreises angeboten, damit sie sich schon einmal daran gewöhnen und in ihrem jeweiligen Unternehmen später für die Anschaffung der Produkte stark machen. "Anfüttern" heißt das in Spielerkreisen.

Möglichkeiten und Grenzen des Behavioral Marketing

Adobe selbst besitzt Technik, die am oberen Ende des Leistungsspektrums residiert. Mit ihr lässt sich fast alles messen und in entsprechendes Webdesign verwandeln. Warum belässt man es dann bei dieser rudimentären Segmentierungsmethode? Dafür gibt es vermutlich nur einen Grund: Mehr lohnt nicht. Jeder zusätzlich in Targeting-Technik investierte Euro würde weniger als einen Euro Gewinn erbringen.

Hier befindet sich Adobes Online-Shop an einer von zwei Demarkationslinien, die den Markt für Targeting-Lösungen kennzeichnen. Die erste zieht das vorhandene Know-how, die zweite das verfügbare Budget. Technologisch ist vieles mach- oder denkbar, ökonomisch aber ist längst nicht alles sinnvoll. Es geht nicht nur um den direkten Einsatz - finanzieller Ressourcen, sondern auch um personelle Möglichkeiten. Wer ein Produkt zwei unterschiedlichen Zielgruppen unterschiedlich schmackhaft machen will, schreibt jede Produktseite doppelt, muss eventuell sogar die Produktabbildungen in unterschiedlichen Stilen produzieren. Manche Unternehmen zeigen sogar nach Zielgruppen unterschiedene Webdesigns. Wohlgemerkt vollautomatisch. Der Webserver "weiß", dass da ein Mann um die 50 vor dem Rechner sitzt und kein Teenager.

Messbar ist fast alles. Am einfachsten funktioniert es, wenn sich ein Nutzer mit seinem Facebook-Login bei einer Website anmeldet. Dann liegen dem Site-Betreiber jede Menge Daten direkt vor. Die meisten davon sind recht präzise, denn es würde die Kommunikation auf Facebook empfindlich stören, wenn man da nur Unsinn schriebe. Es geht also um Daten wie das Alter, das Geschlecht, den Wohnort, die Hobbys, Vorlieben und Neigungen sowie die Größe des Freundeskreises.

L'Oreal
Einfach, aber effektiv: L'Oreal benutzt Profi lierungsfragebögen, um den Nutzerinnen individuell passende Produkte anzubieten.
© L'Oreal

Aus dem Wohnort leitet der kluge Webserver die ökonomische Leistungsfähigkeit ab. Wer in München-Bogenhausen wohnt, gibt tendenziell mehr aus als jemand aus Neuperlach. Der britische Reiseanbieter Orbitz hat auch festgestellt, dass Mac-User teurere Zimmer buchen als Windows-Nutzer und passt die Vorauswahl entsprechend an, wenn der User zum Beispiel nach einer Google- Suche auf Orbitz.com landet. Der Online- Shop von Manufactum verzichtet derzeit noch ganz auf eine Android- App, obwohl der mobile Zugriff auf die Website rasch zunimmt. "Es scheint, als liegen Apple-Geräte und das Manufactum- Sortiment in einem ähnlichen Spektrum", beschreibt E-Commerce-Leiter Tom Feller seine Messergebnisse.

Ähnlich simpel funktioniert die Personalisierung, wenn der Nutzer persönlich bekannt ist. Selbst wenn der Webserver das schon beim ersten Seitenaufruf ahnt, darf er diese Verbindung erst dann aktiv nutzen, wenn der User dem zugestimmt hat, und das tut er mit einem persönlichen Login. Ab dann stehen nicht nur die Profildaten, sondern auch die Kaufhistorie zur Verfügung. Die Shopsoftware kann präzise erkennen, wie der Kunde in der Vergangenheit zum Beispiel auf Gutschein-E-Mails reagiert hat. Entsprechend fällt die Entscheidung aus, ob der nächste Gutschein Sinn ergibt oder nicht. Im Hintergrund werkeln ausgefuchste mathematische Modelle, die eine Kaufwahrscheinlichkeit vorhersagen.

Dabei bedeutet Personalisierung aber keineswegs, dass ein Unternehmen mit dem Kunden in den direkten - und teuren - Eins-zu-eins-Dialog treten muss. Es muss nur die Kundenwünsche genau kennen. SAP Vizepräsident Shaun Burns präsentierte anlässlich des Adobe Marketing Summit ein sehr persönliches Beispiel: "Den Carsharing-Dienst ZipCar benutze ich seit zwei Jahren. Ich habe noch nie ein Gesicht aus der Firma gesehen, ich kenne die Firma nur durch die App".

Behavioral Targeting

Conrad's Anzeige bei Facebook
Conrad nutzt Retargeting auf Facebook, um Kunden Produkte anzuzeigen, die diese im Onlineshop betrachtet haben.
© Hersteller

Neben diesen eher statischen Daten kann der Webserver weitere Informationen in die Entscheidungsfindung einbinden. Das könnten zum Beispiel grundlegende demographische und statistische Daten sein, die ein ganzes Zielgruppensegment betreffen. So könnte es im Shop wichtiger sein, eine sichere Zahlungsabwicklung prominent zu zeigen und Rückgabegarantien einzuräumen, wenn die anvisierten Kunden älter als 40 sind. Bei jüngeren Kunden könnte es dagegen wirkungsvoller sein zu zeigen, wie viele Facebook-Freunde ein Produkt gekauft oder empfohlen haben.

Phillip Winklhofer betreibt den Onlineshop vom Atelier Goldener Schnitt, kurz AGS, der Mode für reifere Semester anbietet. Als er den neuen Job antrat, vertiefte er sich zunächst in wissenschaftliche Literatur, um ein Gespür für die Zielgruppe zu nden. Einige seiner persönlichen Erwartungen wurden erfüllt, zum Beispiel das starke Sicherheitsbedürfnis der Senioren. Bei anderen stieß er auf Fehleinschätzungen. "In der Literatur steht häufig, dass vor allem jüngere Zielgruppen auf mobile Endgeräte setzen, dabei sehen wir eine rapide Zunahme der Tablets bei Senioren."

Die Königsdisziplin des Targeting ist das Behavioral Targeting. Es misst das Verhalten der Nutzer und leitet daraus - in Verbindung mit den oben beschriebenen Daten - eine aktuelle Kaufwahrscheinlichkeit ab. Dahinter steckt die Erkenntnis, dass selbst bei stabilen Rahmendaten die Kaufwahrscheinlichkeit sehr variabel sein kann, etwa wenn ein Nutzer gerade nur wenig Zeit hat oder im Zug eine schlechte Online- Verbindung existiert. Adobe dehnt den Begriff sogar auf Social Media aus. Hier geht es dann nicht um eine Kauf- sondern eine Interaktionswahrscheinlichkeit. Wie viele Nutzer werden eine Facebook- Meldung mit einem Like ausstatten oder sogar weiterleiten?

Schlechte User Experience
Schlechte User Experience: Mitunter verirren sich Produkte in ältere Retargeting-Kampagnen, die der Shop gar nicht mehr verkauft.
© Hersteller

Königsdisziplin deshalb, weil Behavioral Targeting in Echtzeit arbeitet. 100 Millisekunden haben die Systeme der Spezifikation nach Zeit, um den User zu erkennen und die entsprechenden Inhalte auszuspielen. Im Falle von Online-Werbung wird in der gleichen Zeitspanne auch noch ausgehandelt, wer das höchste Ergebnis für einen Werbeplatz abgegeben hat. Real Time Bidding heißt das Verfahren, das freilich nur funktionieren kann, wenn der Werber eine Ahnung davon hat, was ihm der Werbeplatz an Mehrumsatz bringt. Die Systeme arbeiten vollautomatisch anhand festgelegter Regeln.

10 Tipps zur Personalisierung

  1. Vier Merkmale können darauf hinweisen, dass eine Website den Usern nicht genügt:- Vergleichstests funktionieren für Untergruppen, bringen aber keine generalisierbaren Ergebnisse- Verschiedene Unternehmensabteilungen konkurrieren um eine Seite- A/B-Vergleichstests haben funktioniert, aber ind er Wirkung stetig angenommen- Jemand schlägt vor, man soll ein Produkt-Karussell auf der Homepage einblenden
  2. Beim Profi lieren mit dem Einfachsten und Deutlichsten beginnen
  3. Einfach mal anfangen!
  4. Strukturkonzept frühzeitig planen: Was wird personalisiert, für wen, wie wird gemessen, was gilt als Erfolg und wer ist verantwortlich
  5. Bei komplexen, Traffi c-starken Seiten sollte man eine lernfähige Analysesoftware einsetzen
  6. Meistens einfach: Die Landeseite der internen Suche personalisieren
  7. Verbreiten Sie Personalisierung im Unternehmen durch:- Einfache, lesbare URls- Gemeinsam akzeptierte Leistungsindikatoren (niemals nur Klickzahlen)- Risikobegrenzung durch Anwendung der Personalisierung nur auf einen Ausschnitt der Nutzerschaft
  8. Personalisierung auch auf weitere Inhaltsbereiche ausdehnen: analog, eMail, social.
  9. Verlassen Sie das digitale Korsett und sammeln Sie Offl ine-Daten
  10. Entwickeln Sie Strategien zur freiwilligen Profi lbildung der Nutzer.

Wenn der tatsächliche Verkaufserfolg im System abgebildet wird, ist es in der Lage, sich selbst zu optimieren. Die bekannteste Form des Behavioral Targeting ist das Retargeting. Fast jeder kennt die Banner, in denen Produkte angeboten werden, die man sich zuvor auf einer Drittseite anschaute. Auch wenn die Anzeigen mitunter nerven: Retargeting ist inzwischen eine feste Größe im Marketingbudget der Online-Händler. Da Retargeting ein Performance-Instrument ist, wird pro erfolgtem Klick abgerechnet und nicht pro Einblendung. Wenn der Nutzer ein solches Retargeting-Banner tatsächlich anklickt, ist die Kaufwahrscheinlichkeit entsprechend hoch.

Doch eine Kehrseite hat Retargeting freilich auch: Mitunter erreichen die Banner Kunden, die sowieso gekauft hätten. Kommen solche Kunden dann über das Retargeting- Banner auf die Seite, wird eine über üssige Provision fällig. Paybacks Leiter für digitales Marketing, Magnus Schmidt, gibt daher seinem Dienstleister eine strenge Richtung vor: "Nur keine gutzahlenden Bestandskunden". Diese potenzielle Form der Kannibalisierung der Kanäle trifft freilich auf jede Werbeform zu. Retargeting wird aber nicht nur zur Neukundengewinnung genutzt. Die US-Mietwagenfirma Dollar Thrifty versucht auf dem gleichen Weg Nutzer wiederzu nden, die einen Mietwagen bereits reserviert haben, und sie dazu zu bewegen, diesen auch tatsächlich abzuholen. "Heute nutzen wir die Daten aus Kundenpro len und Kundenverhalten für gezielte Display-Anzeigen, die wir dem Kunden direkt präsentieren", sagt Sandy Martin, Marketingleiter der Dollar Thrifty Automotive Group.

Auch im E-Mail-Marketing wird inzwischen erfolgreich mit Retargeting gearbeitet. Kennt der Webserver die E-Mail- Adresse, so schickt er mitunter komplett gefüllte, aber stehen gelassene Warenkörbe an die Nutzer. Meistens wird das mit Formulierungen wie "Es ist ein Fehler aufgetreten" kaschiert und der Webserver tut so, als wollte er dem Nutzer tatsächlich helfen. Viele solcher E-Mail- Retargeting-Kampagnen haben sogar einen automatischen Gutscheingenerator. Dieser wird nicht bei der ersten, aber der zweiten Nachfass-Mail angeworfen, um den "störrischen" Kunden dann doch zu überzeugen.

"Transaktions-E-Mails werden häufig technisch sehr lieblos aufgesetzt, dabei haben sie einen konkreten Anlass und bieten dadurch die perfekte Möglichkeit für Targeting", mein Nikolaus von Graeve, Geschäftsführer des E-Mail-Dienstleisters Rabbit eMarketing. Von Graeve spricht zum Beispiel von der Begrüßungs-E-Mail, die ein Nutzer nach der Anmeldung bei einem Newsletter erhält. Hier sollte direkt der letzte Newsletter mitgeschickt werden, um dem Nutzer in diesem aufmerksamkeitsstarken Zeitfenster direkt zu zeigen, was ihn erwartet.

Die Deutsche Lufthansa​ hat ihren kompletten E-Mail-Verkehr im rund um die Buchung und den Check-in überarbeitet. Gemeinsam mit den Spezialisten von Responsys entwarf man E-Mails, die konkret darauf Bezug nehmen, ob ein Nutzer Neukunde ist oder welche Destinationer gewählt hat. Insgesamt erzielt die Lufthansa eigenen Angaben zufolge eine Öffnungsrate von 60 Prozent bei diesen E-Mails. 100.000 davon werden jede Woche verschickt. Dass man auch mit spannenden Designs von Mails das Verhalten der User beeinflussen kann, weiß Berater Nico Zorn. Er plädiert dafür, dass man dazu übergeht, den Blick des Lesers gezielt auf bestimmte Bereiche in der Mail zu lenken. Zorn testete zwei Varianten gegeneinander. In der einen Mail schaute eine junge Dame zum Leser hin, in der anderen nach links zum gezeigten Produkt. Das Ergebnis: Die Produktwahrnehmung stieg von sechs auf 84 Prozent.

personalisierten Inhalten
Die Platzierung von personalisierten Inhalten im Warenkorb ist heikel: User könnten eventuell vergessen, zu kaufen.
© Hersteller

Letzter Schrei im Behavioral Marketing ist Neuro Pricing. Nutzern, die das System wiedererkennt, werden andere Preise angeboten, als solchen, die neu auf einer Website erscheinen. Denen, die über eine Preissuchmaschine kommen, werden andere Angebote präsentiert als denen, die auf ein Banner geklickt haben. In manchen Fällen wird auch hier der Preis rabattiert, um den Kauf auszulösen, aber es geht auch andersrum. "Wenn ein Nutzer zum zweiten oder dritten Mal eine Produktseite aufsucht, ist die Kaufwahrscheinlichkeit schon sehr hoch", sagt Dunja Riehemann, Marketingleiterin bei Blue Yonder und meint damit, dass man den Preis auch nach oben anpassen kann, wenn der Bedarf des Kunden sehr hoch ist. Das Karlsruher Softwarehaus ist derzeit einer der am hellsten funkelnden Sterne am Targeting- Himmel.

Perönlichkeitsmodelle

Es gibt zwei recht einfach zu beschreitende Wege, wenn es um verhaltensbasiertes Marketing geht. Der eine bedient sich historischer Daten. Was hat ein Kunde früher gekauft, was haben andere ähnliche Kunden früher gekauft? Wer dem Kunden einen Drucker verkauft, weiß, dass er auch Tinte benötigt, und er kennt die durchschnittliche Lebensdauer des Druckers, kann also schätzen, wann der nächste fällig ist.

UpClose&Persona
Mit dem Tool UpClose&Persona lassen sich B2B-Profile aus einem Fragebogen entwickeln.
© UpClose&Persona

Die zweite Variante arbeitet mit Archetypen, den so genannten Personas. Dieser Ansatz hat den Vorteil, dass er auch Neukunden treffen kann, die man beim ersten Besuch noch nicht kennt. Personas sind eine Art Steckbrief. Darin enthalten sind demographische Daten wie Alter, Geschlecht, Einkommen, aber auch psychologische wie Risikofreude oder -scheu, Avantgarde versus konservativ und so weiter.

Idealerweise erarbeitet man sich Personas im Team. Man setzt sich zum Brainstorming zusammen, entwirft eine Persona-Struktur (meist zwischen fünf und zehn Typen) und füllt diese Persönlichkeiten mit Leben. Für die tägliche Arbeit bietet es sich an, wenn man tatsächlich Bilder der Typen an die Pinnwand im Büro hängt. Ganz nach dem Motto: Für wen arbeiten wir? Wichtig im Alltag ist, dass unterschiedliche Personas nicht nur verschiedene Interessen haben, sondern auch auf Bilder anders reagieren oder eine andere Sprache sprechen. Hat man ein stringentes Modell aufgebaut, ist man sogar in der Lage, Verhaltensvorhersagen zu treffen. Tom Kedor leitet mit Motor-Talk.de eines der größten Foren zu Autothemen.

Tritt "Wolfgang" einzeln auf, ist er hilfsbereit, treffen mehrere aufeinander, dann kracht's bei Motor-Talk.de.
© Motor-Talk.de

Bei ihm klingeln die Alarmglocken, wenn in einem Forum plötzlich mehrere "Wolfgangs" auftauchen. Wolfgang ist der wissende Helfer. Etwas mürrisch vielleicht, aber hilfsbereit. Wolfgang ist aber schon länger im Forum unterwegs und hat eine Clique um sich geschart. Und wenn mehrere Wolfgangs aufeinandertreffen, treffen auch die Cliquen aufeinander. Dann treten die Sachthemen in den Hintergrund, neue User werden barsch weggedrängt und der Machtkampf ersetzt die Forendiskussion. "Viele Wolfgangs sind eine klares Zeichen dafür, dass eine Community nicht mehr gesund ist", erläutert Tom Kedor. Er schickt dann Moderatoren los, die das System entweder befrieden oder einzelne Teilnehmer sogar sanktionieren.

Die richtige Strategie

Technisch ist also alles machbar und neun von zehn Marketingverantwortlichen halten das auch prinzipiell für sinnvoll. Dennoch kommen die Marktforscher von eConsultancy zu dem Ergebnis, dass fast die Hälfte aller Projekte an technischen Problemen scheitert, die vor allem auf die Anbindung bestehender Datenquellen zurückzuführen sind. 44 Prozent der Marketer haben zuwenig Personal, um die neuen Aufgaben zusätzlich zu bewältigen.

Ökonomisch sinnvoll ist es also längst nicht. Die großen Softwareprodukte von Unternehmen wie Adobe oder die komplexen Rechenmaschinen von Blue Yonder rentieren sich grundsätzlich erst, wenn ein Online-Shop ein ansehnliches Volumen an Traffic und Abverkäufen zustandebringt. Gleiches gilt für eine Unternehmens- oder Themenwebsite, die mit dem Gedanken des Behavioral Targeting liebäugelt. So 500.000 Visits im Monat oder 300 Verkäufe pro Tag im Shop sollten es schon sein, sonst sind die Rechenmodelle zu fehleranfällig und die Kosten für das Aufsetzen der Lösung zu hoch.

Eine Stufe darunter werkeln ebenfalls sehr leistungsfähige, aber vom Ansatz her weniger aufwändige Maschinen, zum Beispiel im Empfehlungsmanagement. Recommendation Engines lernen auch aus dem Verhalten der Nutzer, aber nicht immer in Echtzeit. Die Einblendung der Kaufvorschläge erfolgt in der Regel in Form einer separaten Box. Das Gesamtlayout einer Seite wird davon nicht beeinflusst.

Bevor man aber ins Behavioral Marketing einsteigt, sollte man sich mit einfachsten Empfehlungsmethoden auseinandersetzen. Die erste Quelle dafür sind die historischen Shopdaten. Was sind die Bestseller, welche Produkte passen gut zueinander und lassen sich folglich bündeln? Auch eine Analyse der in der internen Suche verwendeten Suchbegriffe und der von Google übergebenen Suchworte verrät, wofür sich die Nutzer wirklich interessieren.

Dabei geht es nicht nur um ein Produkt, sondern eventuell auch um einen Kontext. Jens Fauldrath, ehemaliger SEO-Spezialist der Deutschen Telekom, hat zum Beispiel herausgefunden, dass die Nutzer das Thema Smart Home gerne in Verbindung mit Energiesparen suchen. RWE - Vorreiter in Sachen Smart Home - setzt bei der SEO-Kampagne aber eher auf Einzelprodukte und auf Themen wie Lifestyle. Eine tiefe Google- Analyse und ein breit aufgesetztes Social Media Monitoring liefern Auskunft über die tieferen Beweggründe.

Neben den Bestsellern gibt es freilich noch eine Reihe anderer Zusammenhänge, die eine einfache Datenanalyse zu Tage fördern kann. So könnte es sein, dass Kunden aus Süddeutschland anders agieren also solche aus dem Norden. Die User, die während der Arbeitszeiten auf ihre Website zugreifen, gehen zielgerichteter vor als solche, die das in den Abendstunden tun.

Der nächste Schritt führt zum Persona- Modell. Welche Archetypen gibt es in Ihren Zielgruppen, was treibt diese Nutzer um, auf welchen Websites sind sie unterwegs? Tom Kedor, der Betreiber von Motor-Talk.de kennt seine Pappenheimer inzwischen so genau, dass er durch die schiere Präsenz bestimmter Typen darauf schließen kann, wo sich die Kommunikation im Forum hinentwickeln wird. Nicht wenige Marketer drucken Steckbriefe der unterschiedlichen Personas aus und hängen sie an die Pinnwand im Büro, für jedermann sichtbar.

Tom Kedor hält es außerdem für wichtig, diese Nutzertypen regelmäßig persönlich zu treffen, um die eigene Marketing- und Website-Strategie zu überprüfen. Idealerweise gehören entsprechende Personen zum Team, andernfalls sollte man Nutzertreffen organisieren und die Typen dabei sorgfältig beobachten. Das hilft mitunter mehr als die beste Targeting-Software.