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Startup-Szene in Berlin

War's das, Berlin?

Eine Änderung des Insolvenzrechtes würde die Gründermentalität - und somit die Startup-Szene - fördern, glaubt Stefan Wolpers vom Entrepreneurs Club Berlin. Doch auch in den deutschen Köpfen müsse etwas passieren.

Autor: Thomas Knüwer • 30.10.2013 • ca. 5:45 Min

Stefan Wolpers
Stefan Wolpers
© Archiv/IntMag

Stefan Wolpers ist der Gru?nder des Entrepreneurs Club Berlin, des Startupcamp Berlin sowie des Twittwochs. Er tweetet als @stefanw. Für das Magazinprojekt "The Hundert - Standpunkte zur Online-Hauptstadt Berlin" schrieb er diesen Text, den wir freundlicherweise veröffentlichen dürfen...

Stefan Wolpers ist der Gru?nder des Entrepreneurs Club Berlin, des Startupcamp Berlin sowie des Twittwochs. Er tweetet als @stefanw. Für das Magazinprojekt "The Hundert - Standpunkte zur Online-Hauptstadt Berlin" schrieb er diesen Text, den wir freundlicherweise veröffentlichen dürfen. The Hundert ist unter diesem Link erhältlich.

The Hundert
© Archiv

"I would like to announce that we have stopped accepting new startups into hackFwd three years, three months and three days after we first began supporting Europe's most passionate geeks." Lars Hinrichs, September 2013

Es war der bisher bemerkenswerteste Versuch, das Valley - oder zumindest Teile von dessen Gedankengut - in Deutschland heimisch zu machen, die Reservierung der Engineers, der Geeks, der "rest of us" gegenu?ber den Suits, den Entrepreneuren in Residence von WHU und HHL eingeschlossen. Und er scheiterte.

Hamburg ist nicht Berlin und die Konsolidierung einer Marktu?bertreibung - hier die Mini-Bubble unter den Acceleratoren - ist eine normale Reaktion. Zeit fu?r einen kritischen Blick auf den State der Hipster-Nation:

Licht

  • Es gibt viele Beschleuniger in Berlin. Nach den Company Buildern und den ambitionierten Einzelka?mpfern kommen jetzt die Corporate Accelerators - unter'm Strich eine gute Entwicklung, beginnt sich doch alles zu professionalisieren.
  • Die Acceleratoren-Dichte wirkt magnetisch - viele neue Leute und Ideen aus unterschiedlichen Ecken der Welt stro?men in die Stadt.
  • Mit Gidsy und Amen gibt es erste nennenswerte Acqui-Hires.
  • Wa?hrend in den USA das Crowd-Funding von Projekten, die eventuell zu Companies werden, vorzuherrschen scheint, entwickelt sich in Deutschland das Crowdinvesting (siehe Seedmatch, Companisto, Bergfu?rst) zu einer substantiellen Finanzierungsoption. Beispiel: Urbanara will zwischen 2,99 und 3,74 Millionen Euro (299.200 neue Aktien mit einer Bookbuilding-Spanne von 10,00 € bis 12,50 €) u?ber seine Bergfu?rst-Kampagne aufnehmen.

Schatten

  • Ein typisches Marktversagen der Anfangsphase eines Startup-O?kosystems - das Funding. Es gibt Marktzutrittsschranken auf beiden Seiten: Neue Angels kommen nur schwer an "gute" Deals und Gru?nder ohne Kontakte zur bisher aktiven Szene nur schwer an Fundings. Das versta?rkt den Eindruck, dass die u?blichen Verda?chtigen die Seed-Investitionen unter sich verteilen, mit entsprechend niedrigen post-Money-Valuations...
  • ... die in Folge bei weiteren Finanzierungsrunden die Beteiligung der Gru?nder so stark verwa?ssern, dass man kaum noch von Entrepreneuren sprechen kann.
  • Wo liegt Berlin die Sand Hill Road? In der Torstraße? Earlybird VC zieht gerade in die Mu?nzstraße. Die Anzahl anderer VC kann man an einer Hand abza?hlen.

Hat Berlin vor diesem Hintergrund also das Potenzial ein neues Silicon Valley zu werden? Hierzu fehlen meines Erachtens zwei wesentliche Zutaten. Ich denke dabei weniger an die Unsummen, mit denen das Pentagon zur Zeit des kalten Krieges die Grundlagen- und Auftragsforschung an den kalifornischen Universita?ten gepa?ppelt hat. Der Flecken an der Westku?ste heißt deswegen heute ja auch nicht Social Media Valley, sondern ist nach einer wichtigen Zutat fu?r Waffensysteme aller Art benannt.

Es geht mir auch nicht so sehr um die deutsche Klon-Debatte, die den meisten US-Entrepreneuren und -investoren in ihrer Grundsa?tzlichkeit so oder so unversta?ndlich ist. Jedes Startup ist mehr oder weniger ein Remix von Technologien und/oder Gescha?ftsmodellen.

Es fehlt etwas anderes, die deutsche Mentalita?t steht sich in diesem Fall selbst im Wege. Ein ukrainischer Migrant, mittlerweile ein US-Bu?rger, hat eines dieser Probleme wie folgt umschrieben:

"The very first company i started failed with a great bang. the second one failed a little bit less, but still failed. the third one, you know, proper failed, but it was kind of okay. i recovered quickly. Number four almost didn't fail. it still didn't really feel great, but it did okay. Number five was Paypal." Max Levchin, ehemaliger CTO von Paypal, auf der FailCon 2009 - einer undeutschen Konferenz, die sich nur um das Scheitern dreht.

Womit wir die eine Komponente des Fehlenden identifiziert haben: Wa?hrend sich in unserem Land Selbsthilfegruppe wie die "Anonymen Insolvenzler" formieren, bezieht das Silicon Valley hieraus seine Sta?rke, wie es Steve Blank - Vater der Lean Startup-Methodologie - formuliert:

"The biggest thing that makes this area a technology cluster is, you know what we call a failed entrepreneur in Silicon Valley? experienced. Nowhere else in the world do we say that. Anywhere else in the world if you failed you embarrassed your family, your community, your state. Not here. Failure is accepted as experience. And that changes this culture. Screwed it up? Great, as long as you don't blame it on someone else and you say: listen, let me tell you what i learnt. i'll never do that again. You can play this game forever here. Step outside the Bay Area and try that anywhere else in the United States - let alone anywhere in the world - and you'll never get another job."

Fu?hrt man im Valley aktuell die Diskussion, ob "Failure the new Badge of honor" und Teil des Startup-Ma?rtyrer-Kults wa?re, so hat das Scheitern des einheimischen Startups aufgrund der Komplexita?t des deutschen Insolvenzrechts leider ganz andere Dimensionen und fu?hrt gern einmal zum Kollateralschaden der perso?nlichen Haftung der beteiligten Unternehmer.

Das zweite grundlegende Problem Berlins liegt in den Fru?hphasenfinanzierungsmo?glichkeiten fu?r Startups begru?ndet. Der Staat mischt kra?ftig mit; mittlerweile gibt es so viele gutgemeinte Fo?rderprogramme, dass sich ein Verdra?ngungseffekt auf Business Angel-Ebene manifestiert. Leider ist dabei festzustellen, dass ein privat investierter Euro eine deutlich gro?ßere Hebelwirkung hat. Das sich entwickelnde Startups ist ein anderes, wenn man sich auf den Kunden fokussieren kann und  nicht den na?chsten rechnungshofsicheren Report u?ber die Mittelverwendung vorbereiten muss. Von der Smartness der privaten Investoren, die im Idealfall Tu?ren o?ffnet und Gescha?fte anbahnt einmal ganz zu schweigen.

Immerhin: Crowdinvesting-Plattformen genießen derzeit hohe Aufmerksamkeit bei Privatinvestoren, die bis dato in der Startup-Finanzierung nicht mitspielen konnten. Trotzdem ist es bezeichnend, dass Berlin im Moment immer noch ohne ein Angellist- Äquivalent auskommt.

Wer an dieser Stelle einen Blick in die Welt der Silicon Valley Angels werfen mo?ge, dem sei Semil Shahs post empfohlen "Making An Addition to My twitter Bio: investor".

Fu?r Berlin bedeutet beide Mankos dreierlei:

Der Versuch, das Valley kopieren zu wollen, ist zum Scheitern verurteilt - die Verdichtung von Menschen, Ideen und (etwas) Kapital an einem Ort ist fu?r die Clusterbildung notwendig aber nicht hinreichend.

Hierzu bedarf es noch einer Änderung unseres kulturellen Selbstversta?ndnisses u?ber die sprachliche Trennung von Schuld ("debt") und Schuld ("guilt") hinaus: Im 21. Jahrhundert geht der Kapita?n mit seinem havarierten Schiff nicht mehr unter und geho?rt ebenfalls nicht mehr in einen (virtuellen) Schuldturm.

Und fo?rdert man die Startup-Kultur nicht durch Ausschu?ttung von Steuergeldern als Subventionen an diejenigen, die so oder so bereits in diesem Markt investieren.

Wir ko?nnen den erforderlichen Wandel meines Erachtens pragmatisch damit anstoßen, die Insolvenzordnung auf EU-Ebene wettbewerbsfa?hig zu machen, damit "erfahrene" Entrepreneure im Blank'schen Sinne nicht nach London ausweichen mu?ssen. Und wie wa?re es mit einer steuerliche Fo?rderung von Seed-Investoren jenseits des Kick-backs bei Anteilszeichnung? Warum kann Otto Privatanleger zum Beispiel nicht mit Crowdinvesting "riestern" gehen? Es mangelt dieser Gesellschaft nicht an Kapital sondern an sinnvollen Anlagemo?glichkeiten - siehe Containerschiffe oder Solarstrom.

Das wird eine lange Reise. Aber mit der entsprechenden Geduld und ohne hektischen Aktionismus klappt es dann vielleicht einmal mit dem Startup-Hub in Berlin - Paul Graham, Mr. Y Combinator, hat diesen Weg in einem seiner Essays scho?n beschrieben.