Der Toiletten-Hacker
Sein Vater war ein Einwanderer aus Chemnitz, der zum reichsten Mann der USA wurde. Arbeiten müssten John Kluge Jr. also nicht mehr. Doch er hat ein Feld gefunden, das ihn umtreibt: Die armen Regionen der Welt mit sauberen Toiletten versehen. Und dabei setzt er auf digitale Technologie, Hackathons und Mobile Apps.

Wie ein Punk sieht John Kluge nicht aus. Die Haare sind streng zurückgekämmt, die Weste über dem Hemd aus edlem Stoff, am Finger trägt der 30-Jährige einen Siegelring. Kluge sitzt in einem kleinen Glaskasten im dritten Stock in New Yorks Galerienviertel Chelsea. Nur ein Schr...
Wie ein Punk sieht John Kluge nicht aus. Die Haare sind streng zurückgekämmt, die Weste über dem Hemd aus edlem Stoff, am Finger trägt der 30-Jährige einen Siegelring. Kluge sitzt in einem kleinen Glaskasten im dritten Stock in New Yorks Galerienviertel Chelsea. Nur ein Schreibtisch steht hier, darauf ein Laptop, zwei Stühle daneben. An der Wand hängt eine Weltkarte.
Das Minibüro gehört zum Center for Social Innovation, einem Coworking Space für junge Unternehmer, die die Welt mit ihren Ideen ein bisschen besser machen wollen. Social Entrepreneurs nimmt man diese Gründer, die ihren Lebensunterhalt damit verdienen wollen, Gutes zu tun. Kluge selbst bezeichnet sich als >>Philanthropunk<<.
Seine Firma heißt Toilet Hackers, einer Non-Profit-Organisation, die Entwicklungsländern Zugang zu sauberen und sicheren Sanitäranlagen verschaffen und nebenbei den Non-Profit-Sektor im Stil des Silicon Valley neu erfinden will. Die Schlüssel dabei: Mobiltelefon und Internet.

Mehr als 2,5 Milliarden Menschen weltweit - immerhin 40 Prozent der Weltbevölkerung - haben nach Angaben der Vereinten Nationen keinen Zugang zu sauberen Toiletten. Das sei allerdings eine konservative Schätzung, so Kluge.
Jedes Jahr sterben rund 1,6 Millionen Kinder unter fünf Jahren an den Folgen mangelnder Hygiene, die Hälfte aller Krankenhausbetten in Afrika ist von Menschen belegt, die deswegen krank geworden seien. Und 25 bis 30 Prozent aller Mädchen bleiben der Schule im Teenageralter für immer fern, weil es für sie keinen privaten Toilettenraum zum Rück- zug gibt. In Indien, erklärt Kluge, gebe es dreimal so viele Handys wie Toiletten.
>>Mangelnde sanitäre Versorgung ist ein riesiges Problem, das alle Bereiche des Lebens betrifft<<, sagt Kluge. Dennoch liege es weit hinter anderen globalen Entwicklungsthemen zurück. >>Toiletten sind bis heute ein Tabuthema, da ist es egal, ob Sie aus der Tech-Branche sind oder ein Geschäftsmann oder in der Politik<<, erklärt er. >>Weil niemand darüber spricht, findet kein Fortschritt statt.<<
Zudem arbeite der Non-Profit-Sektor seit Jahrzehnten nach sehr starren, eingefahrenen Gesetzen. >>Es gibt keine Zusammenarbeit und jeder kämpft um knappe Ressourcen.<< Kaum jemand denke da über den Tellerrand hinaus.
Kluge will das ändern - und das Sanitärproblem in der Dritten Welt zu einem innovativen Geschäft machen. >>Wir wollen die Dynamik ändern und Unternehmer und Denker für das Thema gewinnen<<, so Kluge, der sich den offiziellen Titel >>Chief Disruptive Officer<< gegeben hat. Und seine Organisation sei auf einem guten Weg dahin.
2012 plante der New Yorker gemeinsam mit der Weltbank einen globalen Hackathon, um die Innovatoren aus der Tech-Branche an Bord zu holen. Hacker hätten einen ganz besonderen Ansatz, Hackathons seien sehr intensive Veranstaltungen. Es gehe darum, in kürzester Zeit Lösungen für Probleme zu finden. Dinge auseinandernehmen und etwas Neues bauen, das sei der Kern der Hacker-Idee: >>Diese Mentalität wollte ich nutzen.<<
Mehrere Monate verbrachte Kluge damit, die Hacker-Community zu mobilisieren und NGOs zu finden, die sich beteiligen wollten. >>Ich wollte einfach sehen, wie viele Leute wir für die Idee begeistern können, Technologie zu nutzen, um das Entsorgungsproblem zu lösen<<, erzählt er. >>Wir dachten, wenn es gut läuft, bekommen wir vielleicht Teilnehmer aus vier Ländern.<< Am Ende waren es 17 Länder und 1215 Hacker, die auf dem Hackathon im Dezember 2012 rund 180 Projekte entwickelten, darunter vor allem Anwendungen für's Handy.
Die vier Finalisten trafen sich im Silicon Valley mit Unternehmern und Wagniskapitalgebern. Einer der Sieger: mWater. >>Wir wollten die Kamera des Smartphones nutzen, um den Bakteriengehalt im Wasser festzustellen<<, erzählt Gründer John Feighery im Skype-Gespräch von Uganda aus. Der gelernte Ingenieur arbeitete lange für die NASA und entwickelte Werkzeuge zur Messung von Luft- und Wasserqualität. Bislang, sagt er, sei es für viele lokale Gruppen und Verwaltungen in armen Ländern schlicht zu aufwändig und teuer gewesen, die Qualität von Wasserquellen regelmäßig zu testen.
Es war überfällig, so etwas auch für Leute möglich zu machen, die nicht jede Menge Equipment zur Hand haben<<, meint Feighery. Das Ergebnis heißt mSewage. Die App hilft dabei, von Abwassersystemen verunreinigte Wasserquellen zu entdecken und die Situation in öffentlichen Toiletten zu überwachen.
Mit Hilfe einer Online-Datenbank sollen Verwaltungen und Hilfsorganisationen Schwachstellen entdecken und ausbessern können. Das soll verhindern, dass es zu Epidemien an Durchfall oder anderen Krankheiten kommt, nur weil Abfälle unbemerkt ins Trinkwasser fließen. Gleichzeitig soll die Aufmerksamkeit der Gemeinden vor Ort für die Risiken erhöht werden.

Natürlich brauche man immer noch ein paar Hilfsmittel, erklärt Feighery. >>Aber Sie müssen kein Experte mehr sein, um die Daten zu verstehen und nutzen.<< Über einen Kontakt bei der Weltbank hatte er von dem Hackathon erfahren. Die Veranstaltung gab ihm und seinem Team die Chance, mit Programmierern in Kontakt zu kommen.
Anfangs sei er skeptisch gewesen, weil Hackathons zwar oft ein großartiger Ort seien, Ideen auszutauschen, die wenigsten davon aber anschließend in die Tat umgesetzt werden. John Kluge habe es aber verstanden, die Tech-Gemeinde einzubinden und am Ball zu bleiben.
Rund 1.000 verschiedene Organisationen und lokale Regierungen haben die App inzwischen heruntergeladen, mWater arbeitet mit Gruppen in Uganda, Tansania und Ruanda. Bald soll auch Äthiopien per App die Wasserqualität bestimmen. Spätestens im Frühling wollen Feighery und seine Frau sich dem Projekt in Vollzeit widmen. Dann soll mSewage neue Funktionen bekommen und in mehr Sprachen erhältlich sein.
Auch weitere Tests und eine engere Zusammenarbeit mit Organisationen vor Ort und der Gesundheitsbranche sind geplant. >>Anfangs hatten viele Zweifel, ob es uns ein Jahr später immer noch gibt<<, erzählt Feighery. >>Es ist ein gutes Gefühl, dass wir durchgehalten haben.<<
Auch die anderen Gewinner sind inzwischen in der Feldphase. >>Taarifa<< ist ein Dienst, mit dem die Einwohner in Entwicklungsländern Behörden und Organisationen per Handy alarmieren können, wenn die öffentlichen Toiletten nicht funktionieren. >>Toilight<< hilft, die nächstgelegene Toilette zu finden und verhindert so, dass Trinkwasserquellen als Ersatztoilette verwendet werden.
Mobiltelefone seien eine große Chance, meint Kluge. >>Über sie können wir die Menschen vor Ort wirklich erreichen.<< Die Geräte könnten helfen, Aufklärung zu leisten und das Verhalten zu ändern, so der Tech-Klempner. Es gebe zwar auch tolle Hardwarelösungen. Aber die kosteten dann 10.000 Dollar pro Stück und seien aufwändig in der Produktion. >>In den Slums von Mumbai kommen Sie damit nicht weit.<< Es gehe ihm darum, Toiletten zu etwas Coolem zu machen, das auch nach dem Hackathon noch neue Talente anziehe, erzählt der Unternehmer. Im November veranstaltete Kluge mit Unterstützung der Vereinten Nationen den ersten offiziellen >>Celebrate the toilet day<<, um die Aufmerksamkeit für das Problem zu erhöhen. Dabei helfen soziale Netzwerke wie Instagram. Die Teilnehmer hätten ganze Geburtstagspartys für ihre Toiletten geschmissen, erzählt Kluge.
Im vergangenen Jahr hat seine Organisation, die fünf feste Mitarbeiter und über hundert freiwillige Helfer beschäftigt, damit begonnen, neben der Tech-Gemeinde auch die >>analoge Community<< an Bord zu holen. Toilet Hackers arbeitet mit Designern, Architekten und Klempnern zusammen. Eines der ersten Ergebnisse der Kooperation: Ein Programm, bei dem Amerikaner jedes Mal, wenn sie einen Klempner rufen, mit einem Häkchen auf der Rechnung ein Toilettentraining in der Dritten Welt spenden können. Bald soll das Pilotprojekt zu einer Online-Plattform ausgebaut werden.
Doch der Unternehmer fordert mehr. >>Es wäre toll, wenn jeder in der Tech-Branche ein kleines bisschen seiner Zeit opfern würde, um soziale Veränderungen durchzusetzen<<, meint Kluge. Die Denker im Silicon Valley entwickelten zwar großartige Dinge. >>Aber manchmal können sie auch echte Waschlappen sein.<<
Wenn die Gründer der Foto-App Snapchat ein Angebot über drei Milliarden Dollar von Facebook ablehnten, dann >>macht mich das einfach wütend. Man hätte einen Teil der Ressourcen wirklich sinnvoll einsetzen können.<<
Milliardäre, schrieb Kluge im Magazin Forbes, sollten nicht mehr an ihrem Kontostand gemessen werden, sondern daran, wie vielen Menschen sie mit ihren Ideen und ihrem Einfluss helfen. Er weiß, wovon er redet: Als Erbe des Medienmoguls John Kluge - einst der reichste Mann der USA und ein Einwanderer aus Chemnitz - müsste der 30-Jährige eigentlich nicht arbeiten.
Doch nach dem Tod seines Adoptivvaters vor drei Jahren verpflichtete sich Kluge öffentlich, 95 Prozent des Vermögens für wohltätige Zwecke einzusetzen. Für seine Idee trommelt der Philanthropunk, wo immer er kann. In seinem Apartment in Manhattan veranstaltet er Fundraising-Partys, auch auf der Ideenkonferenz Tedx forderte er mehr Punk, der Altbewährtes auseinandernimmt und neu zusammensetzt.
Embrace Your Inner PhilanthroPunk: John Kluge at TEDxTokyo (English)
Die Idee, die Welt mit Technologie zu verbessern, kam ihm während der Arbeit beim East West Institute, einem >>Think and do tank<< in Washington. Als Politstratege arbeitete Kluge daran, Kindern Technologien näherzubringen und Wege zu finden, das Netz für sie sicherer zu machen.
Doch es habe ihn zunehmend frustriert, wie langsam der Politikbetrieb sich bewege, erzählt Kluge. Er habe viele Freunde in der Tech-Szene von New York und San Francisco gehabt. >>Ich war neidisch auf all die Dinge, die sie entwickelten und wie schnell sie damit vorankamen<<, sagt er.
Vor vier Jahren begann er, gemeinsam mit Michael Lindenmayer an einer Idee für ein Videospiel zu arbeiten, das bei der Lösung von Konflikten helfen sollte. Doch die Spielefirma, mit der er zusammen arbeiten wollte, ging pleite. >>Aber wir hatten viel Spaß daran, das gab mir genug Selbstbewusstsein, meinen Job zu kündigen und mich voll auf neue Projekte zu konzentrieren.<<

Gemeinsam gründeten die beiden Unternehmer Eirene, eine Wagniskapitalfirma für philantropische Projekte. Einzige Bedingung: Projekte, die sich um Gelder bewerben, müssen die Leben von mindestens einer Milliarde Menschen betreffen. >>Die Frage war, wie können wir unsere Zeit am besten investieren, um ein globales Problem anzugehen, das zu wenig Innovation erfährt oder in das nicht genug investiert wird?<<
Über das Thema Wasser kamen Kluge und Lindenmayer schließlich zu den Toiletten. Schnell stellten die beiden fest, dass es weder genügend innovative Unternehmer noch Produkte gab, die überzeugend waren. >>Die Überlegung lag nahe, selbst einer dieser Unternehmer zu werden<<, erzählt Kluge. Er entschied sich dagegen. >>Wenn es gut gelaufen wäre, hätten wir nach fünf oder zehn Jahren vielleicht 5.000 Kunden gehabt<<, erklärt er. >>Das löst das Problem aber nicht.<<
Die Entscheidung scheint sich auszuzahlen. In den kommenden zehn Jahren will er mit Toilet Hackers dafür gesorgt haben, dass 250 Millionen Menschen in Entwicklungsländern Zugang zu sauberen Toiletten haben. Bis dahin hat er viel vor. Gerade laufen Gespräche mit mehreren großen Technologiefirmen, um Toilettenprojekte mit Sensoren auszustatten, die Fehler frühzeitig melden und so sicherstellen, dass die Gelder nicht ungenutzt versickern.
Mit Touchscreens, so eine weitere Idee, könnten Toiletten vom stillen Örtchen zum Infozentrum aufgerüstet werden. Und gerade hat Kluge das erste Paar Google Glass bekommen. Die Internetbrille könne dabei helfen, Geldgebern die Geschichten vor Ort zu erzählen. Man müsse groß denken, um etwas zu bewegen, sagt Kluge.