Beurteilungsfehler erkennen und vermeiden
Beim Beurteilen von Mitarbeitern gelangen Führungskräfte oft zu falschen Einschätzungen. Dies führt unter anderem zu Fehlbesetzungen, ungeeigneten Entwicklungsmaßnahmen und einer erhöhten Personalfluktuation. Die Unternehmen kostet das viel Zeit und Geld.

Von: Hans-Jörg Schumacher, Kraus & PartnerOft urteilen wir u?ber Menschen schnell und spontan. Kommt zum Beispiel ein Handwerker zur vereinbarten Zeit, stufen wir ihn als zuverlässig und gewissenhaft ein. Und tritt uns eine Person mit einem Lächeln entgegen, denken wir, ihr vertra...
Von: Hans-Jörg Schumacher, Kraus & Partner
Oft urteilen wir u?ber Menschen schnell und spontan. Kommt zum Beispiel ein Handwerker zur vereinbarten Zeit, stufen wir ihn als zuverlässig und gewissenhaft ein. Und tritt uns eine Person mit einem Lächeln entgegen, denken wir, ihr vertrauen zu können. Oft liegen wir mit dieser Ersteinschätzung richtig, zuweilen aber auch falsch.
Vom Vor- zum Fehlurteil
In unserem Alltag hat dies meist keine weitreichenden negativen Konsequenzen. Anders ist dies, wenn Fu?hrungskräfte auf Basis von Fehleinschätzungen Mitarbeiter einstellen oder befördern. Dann wirkt sich dies negativ auf den Erfolg ihres Unternehmens aus.
Deshalb sollten Fu?hrungskräfte wissen, wann sie warum zu Fehleinschätzungen neigen. Wenn ihnen das gelingt, können sie Entscheidungen, bevor sie diese treffen, nochmals u?berpru?fen und gegebenenfalls revidieren.
Manchmal stellen Personalentscheider aufgrund von Fehleinschätzungen die falschen Bewerber ein. So der Geschäftsfu?hrer eines mittelständischen Unternehmens. Nach langer Suche hatte er scheinbar endlich den passenden Buchhalter gefunden. Der Bewerber erschien ihm, wie er selbst, als pragmatischer Macher. Er glänzte zudem mit Erfahrung. Und zu guter Letzt: Er spielte ebenfalls Tennis. Diese Punkte brachten den Geschäftsfu?hrer zur Überzeugung: "Das ist der richtige Mann."
Doch dann trat der Neue die Stelle an und schnell kamen dem Geschäftsfu?hrer erste Zweifel. Denn es gab immer wieder Pannen bei der Buchfu?hrung. Und der pragmatische Macher entpuppte sich im Alltag als Besserwisser und Möchtegern-Chef.
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Seine Kollegen beklagten sich beim Geschäftsfu?hrer immer lauter u?ber den Befehlston des Neuen. Die Konsequenz: Drei Monate später suchte der Geschäftsfu?hrer erneut einen Buchhalter. Denn der Traumkandidat hatte sich als Fehlgriff erwiesen.
Der Sympathie-Effekt
Warum beging der Geschäftsfu?hrer diesen Fehler? Warum stellte er den Bewerber ein? Ganz einfach: Er war ihm sympathisch. Denn er hatte ähnliche Charakterzu?ge wie er selbst - und auch noch dasselbe Hobby. Was der Geschäftsfu?hrer jedoch vergaß: Ein Buchhalter braucht andere Fähigkeiten und Eigenschaften als der Chef eines Unternehmens.
So ist ein "Erbsenzähler" an der Unternehmensspitze in der Regel eine Fehlbesetzung; in der Buchhaltung sind solche Typen jedoch durchaus gefragt. Und ein Chef muss auch mal auf den Putz hauen und seinen Leuten sagen, wo es langgeht. Anders bei einem Buchhalter: Er ist in erster Linie ein interner Dienstleister. Und sollte daher "sozialverträglich" sein.
Oft machen sich Fu?hrungskräfte nicht ausreichend bewusst, dass die verschiedenen Funktionen in einer Organisation neben unterschiedlichen Fähigkeiten auch verschiedene Persönlichkeitstypen erfordern.
Entsprechend häufig tappen sie beim Auswählen und (Be-)Fördern von Mitarbeitern in die Sympathiefalle, indem sie unbewusst Personen bevorzugen, mit denen sie auch privat gerne verkehren wu?rden.
Der "Ich-bin-der-Maßstab-Effekt"
Oft machen Fu?hrungskräfte auch folgenden Fehler: Sie legen ihre Kompetenz als Maßstab an, um andere Personen zu bewerten. Das fu?hrt häufig zu Fehlentscheidungen. Angenommen ein Unternehmen plant eine IT-Schulung und die verantwortliche Fu?hrungskraft ist in Sachen IT sehr fit. Dann besteht die Gefahr, dass sie die IT-Kompetenz ihrer Mitarbeiter eher schlecht einstuft, obwohl sie u?ber die fu?r ihren Job erforderlichen Kenntnisse verfu?gen.
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Diese Einschätzung wird den Mitarbeitern kaum verborgen bleiben, was diese selbstverständlich frustriert. Zudem besteht die Gefahr, dass die Fu?hrungskraft ihre Mitarbeiter zu IT-Schulungen schickt, die fu?r ihren Job nicht nötig wären. Dann gibt das Unternehmen unnötig Geld aus.
Umgekehrt ist gibt es den Fall, dass eine Fu?hrungskraft von der IT keine Ahnung hat. Dann besteht die Gefahr, dass sie das IT-Know-how ihrer Mitarbeiter u?berschu?tzt und ihnen nötige Schulungen verwehrt. Die Folge: Aufgaben werden nicht so gut oder schnell erledigt, wie dies möglich wäre.
Der Hierarchie-Effekt
Insbesondere wenn eine Bewertung abteilungsu?bergreifend erfolgt, lässt sich oft der Hierarchie-Effekt konstatieren. Von ihm spricht man, wenn ranghöheren Personen automatisch mehr Kompetenz zugeschrieben wird als Personen in niedrigeren Chargen.
Dies ist zum Beispiel dann der Fall, wenn ein Abteilungsleiter einem Teamleiter automatisch mehr Sachverstand als einem normalen Sachbearbeiter unterstellt. Oder einem Diplom-Betriebswirt ein ausgeprägteres unternehmerisches Denken als einem Industriekaufmann. Dies geschieht im Fu?hrungsalltag häufig.
Als Folge werden Mitarbeiter oft mit den falschen Aufgaben betraut. Ein weiterer Effekt: Wenn der Industriekaufmann Mu?ller etwas sagt, wird seinen Aussagen eine geringere Bedeutung beigemessen, als dem Diplom-Kaufmann Mayer, der dasselbe sagt. Das frustriert Mu?ller, weshalb er irgendwann gar nichts mehr sagt und im Extremfall - zumindest innerlich - ku?ndigt.
Der Benjamin-Effekt
Eng verwandt mit dem Hierarchie- ist der Benjamin-Effekt. Von ihm spricht man, wenn jungen Mitarbeitern automatisch mehr oder weniger Kompetenz zugeschrieben wird als älteren Kollegen, die schon viele Jahre Berufserfahrung haben und eventuell schon lange fu?rs Unternehmen arbeiten.
Dass jungen Mitarbeitern weniger zugetraut wird und sie sich erst einmal bewähren mu?ssen, registriert man oft in Industrieunternehmen und Verwaltungen. Die Folge: Junge, talentierte Mitarbeiter wandern ab, weil sie in ihren Augen nur niederrangige oder Zulieferarbeiten erledigen mu?ssen und kaum gefördert werden.
Das Gegenteil registriert man häufig in IT-Unternehmen. Oder in Unternehmen wie Werbeagenturen, die sich als Kreativschmieden verstehen. In ihnen wird älteren Mitarbeitern oft unterstellt, sie seien nicht mehr up to date. Oder sie seien weniger flexibel und kreativ, belastbar und lernfähig als die jungen Mitarbeiter. Dann wirkt sich der Benjamin- Effekt positiv fu?r die Jungen aus.
Und die Alten? Sie ziehen sich mental aufs Altenteil zuru?ck, weil sie zwar subtil, aber doch wahrnehmbar Tag fu?r Tag spu?ren: Das Unternehmen beziehungsweise meine Chefs haben mich bereits abgeschrieben.
Der Blender-Effekt
Oft schließen Fu?hrungskräfte auch von einer Fähigkeit eines Mitarbeiters auf dessen sonstige Fähigkeiten. Hierfu?r ein Beispiel, das so häufig vorkommt, dass man es als Alltagsbeispiel bezeichnen kann: Angenommen ein Mitarbeiter ist ein eloquenter Redner, der sich und seine Leistungen sehr gut präsentieren und verkaufen kann.
Dann neigen insbesondere Vorgesetzte, die mit ihm nicht tagtäglich Kontakt haben, dazu, anzunehmen, das sei ein Top-Mitarbeiter - selbst wenn seine Leistung real nur durchschnittlich oder gar unterdurchschnittlich ist. Also fördern und befördern sie ihn.
Das fu?hrt dazu, dass andere Mitarbeiter, die eigentlichen Leistungsträger, frustriert sind, weil ihre Leistung - im Gegensatz zu der des "Schaumschlägers" - nicht angemessen gewu?rdigt wird. Eine weitere Konsequenz ist: Irgendwann sitzen in den gehobenen oder gar oberen Etagen des Unternehmens u?berwiegend "Blender", die fachlich wenig Ahnung haben.
Ein Phänomen, das man bis vor wenigen Jahren in Konzernen sehr häufig registrierte, weil ihre Fu?hrungskräfteentwicklungsprogramme primär smarte Karrieristen nach oben spu?lten. Doch inzwischen haben die meisten Konzerne dies erkannt und legen bei der Auswahl ihrer "High Potentials" andere Kriterien an.
Der Kleber-Effekt
Fu?hrungskräfte schließen häufig aus der bisherigen Leistung eines Mitarbeiter auf dessen ku?nftige Leistung. Das nennt man den Kleber-Effekt. So registriert man zum Beispiel immer wieder, dass Fu?hrungskräfte bei Mitarbeitern, die in der Vergangenheit zuverlässig, motiviert und erfolgreich waren, gar nicht wahrnehmen, wenn deren Leistung sinkt.
Folglich suchen sie zum Beispiel auch nicht das Gespräch mit ihnen daru?ber, was die Ursachen hierfu?r sind. Das hat oft zur Folge, dass die Leistung des Mitarbeiters dauerhaft sinkt, ohne dass die Fu?hrungskraft dies registriert. Warum? Die Fu?hrungskraft hat dem Mitarbeiter ein fu?r alle Mal den Stempel "Das ist ein guter" verpasst.
Dasselbe registriert man umgekehrt. Fiel ein Mitarbeiter einer Fu?hrungskraft erst einmal durch Minderleistung auf, schaut sie selbstverständlich genauer hin: Wie arbeitet er? Und weil die Fu?hrungskraft das Bild im Kopf hat "Das ist ein schlechter Mitarbeiter", findet sie stets auch Fehler oder Dinge, die man besser machen könnte. Was sie jedoch nicht mehr sieht, ist: Was hat der Mitarbeiter gut gemacht? Das frustriert ihn, weshalb er sein Bemu?hen einstellt, seine Leistung zu verbessern.
Der Nimbus-Effekt
Studien belegen: Attraktiven Menschen wird meist mehr Kompetenz zugeschrieben als weniger attraktiven. Dasselbe gilt fu?r Personen, die in den Augen der Betrachter gut oder ihrer Position angemessen gekleidet sind. Auch hier kommt der sogenannte Nimbus- Effekt zum Tragen. So assoziieren wir mit Personen, die einen Anzug und eine Krawatte tragen, oft Seriosität - weshalb zum Beispiel fast alle männlichen Bankangestellten so kostu?miert sind. Dabei hat nicht nur die Finanzkrise gezeigt: Das ist oft ein Trugschluss.
Umgekehrt unterstellen Fu?hrungskräfte Mitarbeitern, die eher nachlässig gekleidet sind, oft, sie seien auch im Job nachlässig - und dies obwohl gerade diese Leute, die weniger Wert auf Äußerlichkeiten und Status-Symbole legen, häufig besser arbeiten.
Noch stärker als das Aussehen wirkt sich auf die Beurteilung aus, welcher sozialen Gruppe eine Person erkennbar angehört - qua Geschlecht, kultureller oder nationaler Abstammung oder sozialer Herkunft. So haben Fu?hrungskräfte, schließlich sind auch sie nur Menschen, gewisse Stereotypen bezu?glich Frauen und Männern im Kopf. Ebenso assoziieren wir bei Menschen aus dem asiatischen Kulturkreis fast automatisch Selbstbeherrschung und Fleiß. Ganz im Gegensatz zu Su?dländern oder Schwarzen.
Solche Vorurteile haben wir fast alle mehr oder weniger bewusst verinnerlicht. Ebenso unterstellen wir Personen, die eine hohe Affinität zu Computern haben, den sogenannten "Nerds", oft vorschnell, sie seien soziophob.
Beurteilungsfehler minimieren
Solche Vorurteile hat jeder Mensch. Also beeinflussen sie wie die genannten Effekte auch mehr oder weniger stark die Art, wie wir Personen wahrnehmen, beurteilen und uns ihnen gegenu?ber verhalten. Der einzige Unterschied: Manchen Menschen ist dies mehr, manchen weniger bewusst.
Wenn Fu?hrungskräfte ihre "blinden Flecken" kennen, können sie ihre Vorurteile, die sie aufgrund ihrer Herkunft oder Erfahrung haben, u?berpru?fen, bevor sie ein Urteil fällen. Die Folge: Sie begehen weniger Beurteilungsfehler und Fehlentscheidungen, die häufig nicht nur gravierende Folgen fu?r die betroffenen Mitarbeiter, sondern auch fu?r das Unternehmen haben.