Social Media
Der entzauberte Mythos Social CRM
Die Verbindung von Customer Relationship-Management und Social Media wird seit Jahren zum Top-Thema gemacht. Doch passiert ist wenig. Und dafür gibt es Gründe - das zeigen Beispiele wie Lufthansa, Vodafone oder Payback.

Dieses Jahr war das Jahr von Social CRM.Letztes Jahr auch.Und schon 2011 wurde Bosch mit seiner Profiwerkzeugabteilung (kurz "Blau") zum Social- CRM-Pionier gewählt. Peter Gentsch kann all das nicht mehr hören: "Die meisten Unternehmen schaffen es noch gar nicht, in hoher Geschwin...
Dieses Jahr war das Jahr von Social CRM.
Letztes Jahr auch.
Und schon 2011 wurde Bosch mit seiner Profiwerkzeugabteilung (kurz "Blau") zum Social- CRM-Pionier gewählt.
Peter Gentsch kann all das nicht mehr hören: "Die meisten Unternehmen schaffen es noch gar nicht, in hoher Geschwindigkeit auf Anfragen via Twitter und Facebook zu reagieren", von Customer-Relationship-Management sei da noch längst nicht die Rede, meint der Chef der Unternehmensberatung Business Intelligence Group.
Social CRM (SCRM) geistert seit drei Jahren durch die Stammtischgespräche der Online-Szene. Es geht nicht nur um Gewinnspiele oder Gamefication-Kundenbindung, es geht um mehr. Mit Hilfe von Social Media und den viel genutzten Mobile Apps lassen sich Bestandskunden gezielt und schnell ansprechen, meist schneller als mit den klassischen CRM-Daten Faxnummer, Telefonnummer oder E-Mail-Adresse. Manche junge Kundengruppe ist kaum noch auf anderen Wegen zu erreichen.
Umgekehrt können die reichhaltigen Daten aus den sozialen Netzen dazu dienen, den Datenschatz der Unternehmen anzureichern. Hat man früher große Summen bei Adressverlagen oder Marktforschern gelassen, um Adressen zu validieren oder anzureichern, so steht zumindest ein Teil der Daten heute auf Facebook und Co. frei zur Verfügung. Da die Nutzer ihre Daten pflegen, sind diese auch meistens auf dem neuesten Stand.
Soweit die Theorie. In der Praxis stehen der schönen neuen Datenwelt gleich eine Handvoll Herausforderungen gegenüber, die es zu meistern gilt und von denen Gentsch berichten kann, dass sie bisher kaum gemeistert werden. Die größte: Social Media ist in vielen Unternehmen als Funktion von Marketing und PR gewachsen. Sie nun mit Support oder Sales zu verheiraten, überfordert die meisten zumindest kurzfristig. So gelang es zum Beispiel dem Hotelvermittler HRS nicht, innerhalb von 24 Stunden auf eine Facebook-Anfrage zu reagieren, die ein Problem mit einem Übernachtungswunsch beinhaltete. Die finale Antwort trudelte tatsächlich nach einer Woche als E-Mail ein. Zu diesem Zeitpunkt war das Thema längst erledigt.
Bei Payback hat man für solche Fälle eine spezielle Struktur ausgebildet. "Social ist in Sachen Support ein Sonderfall, hier gibt es ein speziell geschultes Team, das die Schnittstelle zwischen Facebook und Telefon bildet", erläutert ein Payback-Sprecher. "Wenn ein User in die Timeline schreibt und um Unterstützung bittet, ruft derselbe Mitarbeiter an, der auch auf das Posting reagiert."
So einfach, wie es sich in der Theorie anhört, ist SCRM aber auch gar nicht. Mit einem Feld "Username auf Facebook" in der Oracle-Datenbank ist es nicht getan. Eine der großen Hürden liegt zum Beispiel in den Geschäftsbedingungen von Facebook selbst. "Wir integrieren keine Facebook-Daten in unser CRM, weil Facebook das nicht gestattet" , lässt Payback verlauten. Wer also zum Beispiel seine Kundendaten auf Facebook lädt, um dann eine segmentierte Custom Audience mit Facebook-Werbung anzusprechen, bekommt die um Interaktion angereicherten Daten von Facebook so einfach nicht zurück.
Deshalb beschreiten viele Unternehmen den Umweg über eine Facebook-App, in der die Nutzer gezielt um Erlaubnis gefragt werden, bestimmte Daten aus dem Profil auslesen und sie auch über diesen Kanal ansprechen zu dürfen. Bosch Blau bekam für eben diesen Ansatz im Jahr 2011 einen Innovationspreis. Man rief eine Tester-Community ins Leben und verlangte den Facebook-Fans zur Teilnahme eine Registrierung ab. Diese beinhaltete nicht nur persönliche Daten, sondern auch Auskunft über Branche und Unternehmensgröße. Auf diesem Weg erhielt Bosch Blau sowohl angereicherte Kundenprofile als auch einen Überblick über die Zusammensetzung der Fangemeinde. Ähnliches ließe sich auch über eine Newsletter-Anmeldung erreichen. Eine inhaltliche Segmentierung lässt sich damit begründen, dass die Newsletterinhalte auf die jeweiligen Zielgruppen angepasst werden. Bosch macht das aktuell - verzichtet aber darauf, eine Verbindung zur User- Identität auf Facebook herzustellen.
Deutlich leichter hat es Payback. Alle Aktionen drehen sich beim Kundenbindungssystem um das Thema "Punkte sammeln". Dies ist nur möglich, wenn die Kundennummer preisgegeben wird. Der willige Nutzer verknüpft die Kunden- und Facebook-Daten also freiwillig und selbstständig. Das Payback-CRM weiß genau, welche Gutscheine ein Kunde eingelöst und wo er eingekauft hat, so lange er dabei sein Karte vorgelegt hat. Von den 20 Millionen Werbebriefen, die das Unternehmen versendet, sind acht Millionen einzigartig zusammengestellt und nach Kaufhistorie personalisiert. Mit der Facebook-App "Likes Lounge" hätte Payback beste Chancen, derartige Personalisierung auch auf der Grundlage von auf Facebook geäußerten Präferenzen vorzunehmen. Aber das geschieht nicht. Bislang gibt es keine direkte Verknüpfung zwischen CRM und Social Media mit Ausnahme des SCRM-Teams, das sich um Supportfälle kümmert. Doch selbst dann erfolgt häufig der direkte Verweis auf den normalen Kundendienst, der über die Website erreichbar ist. Dort ist dann zunächst ein Login nötig.
Eine wesentliche strukturelle Veränderung für das Customer-Relationship-Management in Zeiten von Social Media liegt in der Tatsache begründet, dass mindestens ein Teil des Dialogs öffentlich ausgetragen wird. Das ist Chance und Risiko zugleich. Guter Kundenservice zahlt auf die Marke ein und kann die Kundenbindung auch bei Usern erhöhen, die nicht direkt betroffen sind. Umgekehrt funktioniert das freilich auch. Um aus Unternehmenssicht die richtige Reaktionsstrategie zu wählen, wäre vor allem ein SCRM-Datenschnipsel besonders zu beachten, nämlich die virale Reichweite. Hat ein Kunde einen hohen Klout-Score, ist entsprechend Vorsicht angesagt, wenn ein Problem öffentlich diskutiert wird. Geht es dagegen um eine Marketingaktion, wären die so identifizierten Influencer vielleicht eine Sonderbehandlung wert.
BMW, berichtet Peter Gentsch, verteile Probefahrten mit Neuwagen schon mal nach Reihenfolge des Klout-Score. Möglicherweise hätte auch die Lufthansa ein solches Hilfsmittel zu Rate ziehen sollen, bevor man am 22. November Marco Nussbaum via Twitter virtuell in der Luft hängen ließ. Nussbaum weilte beruflich in Amsterdam und bekam trotz Senator-Status keinen Zugang zur LH-Lounge, weil er nur mit einem Germanwings-Ticket reiste. Es entspann sich ein einstündiger, aber letztlich fruchtloser Dialog mit @Lufthansa_DE auf Twitter. Der frustrierte Vielflieger macht seinem Ärger Luft: "Ich bin echt stinksauer, gar nicht mal, weil ich nicht in die Lounge gekommen bin, aber wie halt deren Haltung ist." Nussbaum ist Hotelier in Bremen und Hamburg. Er verfügt über den satten Klout-Score von 60 und bloggt am liebsten über das Thema "Social Media in der Tourismusbranche" .
Aber die Lufthansa kann auch anders. Im Twitterfeed finden sich auch jede Menge gelöste Probleme und dankbare Kunden, ebenso auf Facebook. An einem willkürlich gewählten Tag sind von 20 Tweets 17 aus einem Dialog geboren. Nur drei haben eher Marketinghintergrund. Bei Facebook ist letzteres naturgemäß stärker vertreten, vor allem mit vielen bunten Bildern von Flugzeugen, aber auch dort ist Platz für Servicedialoge. Eine recht knifflige Anfrage beantwortete der Konzern auf beiden Kanälen innerhalb von zehn Minuten oberflächlich und auf Facebook gab es dann nach einer Stunde noch die fundierte Detailantwort. Das ist sogar David Moth ein dickes Lob wert: "Die Lufthansa ist eines der wenigen Unternehmen, denen es gelingt, Facebook auch als Servicekanal effizient zu nutzen", beschreibt der stellvertretende Chefredakteur von Econsultancy, einem britischen Online-Magazin für Marketing.
Während in Nussbaums Fall nur das Social-Media-Team anders hätte reagieren müssen, wird die Tragweite der Herausforderung SocialCRM erst bei einem Kanalwechsel so richtig deutlich. Auch Vodafone übersah nämlich dass mögliche Reichweitenpotenzial eines verärgerten Kunden und antwortete auf einen Kündigungskonflikt mit einem lapidaren "Hallo Martin, wir haben uns Deinen Fall angeschaut und es tut mir leid, hier können wir nichts weiter tun. Beste Grüße, Matze". Der Martin, der dort angesprochen wurde, heißt mit vollem Namen Martin Meyer-Gossner, hat einen Klout-Score von 62 und ist in der Online-Marketingszene bekannt wie ein bunter Hund, weil er andauernd auf Konferenzen auftritt. Sein Thema: Online-Marketing mit Strategie. Zudem geschah das Unglück - bei dem Gossner vier verschiedenen Mitarbeitern seinen Fall vier Mal erläutern durfte - im Kontext eines Umzugs, mithin also der optimalen Sales Opportunity für einen Tele- komdienstleister. Gossner nutzte sein Sonderkündigungsrecht und wechselte zur Konkurrenz.
Rafael Schwarz wäre so etwas vermutlich nicht passiert, zumindest hätte er gewusst, mit wem er sich einlässt. "Das Finden der richtigen Teilnehmer ist unser USP", betont der Geschäftsführer des Marktforschers TRND und meint damit vor allem Teilnehmer, die in den sozialen Netzwerken besonders aktiv sind. Die nämlich werden Teil der Produkttestergruppen, die TRND Unternehmen wie Samsung oder Dr. Oetker zur Verfügung stellt.
Ergänzend zu diesem Stammgeschäft geht TRND heute auch in Unternehmen und betreut dort deren Communities. Beim FMCG-Riesen Procter & Gamble darf TRND inzwischen sogar auf internationaler Ebene Mitmachaktionen betreuen. "Wir nutzen das CRM von Procter ganz gezielt, um diejenigen Nutzer zu identifizieren, die sich für solche Projekte eignen", erläutert Schwarz. Umgekehrt spielt TRND die Ergebnisse der Nutzerbeteiligung auch wieder in die CRM-Datenbank zurück. "Diese Informationen werden aber bislang nicht genutzt."
Bosch Blau hingegen hat den nächsten Schritt in Sachen Social CRM gemacht. "Wir nutzen insbesondere im Rahmen unserer Brand Community Bob systematisch einzelne Social-Media-Informationen für das Kundenbeziehungsmanagement. So zum Beispiel bei der zielgruppenspezifischen Durchführung von Online Surveys oder bei der Identifikation geeigneter Community-Teilnehmer für Innovations-Workshops. Dabei kommen interne Cluster-Definitionen zum Einsatz", erklärt Bosch-Blau-Sprecherin Stefanie Schaefer. Für Bosch Blau lohnt sich SCRM nur in Zusammenhang mit der Vorselektion durch die Registrierung zur Community. Eine Anreicherung von Daten via Facebook verspricht wenig Mehrwert: "Dem CRM können wir mit Bob besser gerecht werden, denn die Community ist zielgruppenspezifischer."
Tatsächlich ist die Entwicklung von Experten-Communities eine weitere wesentliche Funktion von Social CRM. So eruiert die Telekom derzeit, wie besonders aktive Social-Media-Freunde des Unternehmens tatsächlich aktiv in den Support eingebunden werden können, nach dem Motto "Kunden helfen Kunden".
Hierzu ist es freilich nötig, die medial aktivsten unter den Kunden herauszufiltern. Und das ist möglich, wenn das CRM deren Twitter-Namen kennt. Möglicherweise hat die Telekom das bei einem Blick zum Alpenrand gelernt. In Österreich ist die A1-Community eine zentrale Anlaufstelle für Kunden des Telekom-Unternehmens A1, wenn man Probleme mit Leitungen und Installationen hat. Herz des Systems ist eine Qualifikationshierarchie auf Nutzerseite, inklusive "Held des Monats". Auf Knopfdruck können die Österreicher Themenexperten finden und ansprechen, wenn besonders qualifiziertes Feedback gefragt ist. Die Sortierung reicht bis auf Endgeräteebene. User "kohlmark" ist zum Beispiel der Experte fürs iPhone 5. Als er im Oktober heiratete, entschuldigte er sich bei der Community für sein temporäres Fehlen.
Die Königsdisziplin von Social CRM in der Zukunft wird sein, auch mit externen, neutralen Communities interagieren zu können. Das bedarf einer sehr ausgefeilten, klaren Strategie, denn es ist längst nicht klar, ob ein User in einem Forum damit einverstanden ist, als Fan einer Marke "geoutet" zu werden. Motor-Talk.de ist eine solche neutrale Community und auch hier wären die Social-Media-Manager hocherfreut, zu erfahren, welcher ihrer Kunden sich hinter einem Nutzenamen verbirgt. Die Anbindung solcher Foren gestaltet sich mitunter schwierig, da den historischen Plattformen oft die Schnittstellen fehlen.
BMW und Audi lassen gerade eine Anbindung an Motor-Talk.de programmieren. Für BMW wird es allerdings zunächst keine nach außen gerichtete Interaktion geben und auch langfristig will man nur dann aktiv werden, wenn man gefragt wird. Im ersten Schritt fließen also nur die Themen ins Monitoring ein. Von der Integration der User-Daten in das CRM ist man noch ein gutes Stück entfernt. Vermutlich wird also auch 2014 das Jahr des Social CRM.
Oder 2015?