Grundregeln der Personalauswahl
Dass gute Mitarbeiter das Kapital jedes Unternehmens sind, ist eine Binsenweisheit. Doch es kommt immer wieder zu klassischen Fehlbesetzungen - obwohl die Auswahlverfahren komplex sind. Dem Top-Management kommt dabei eine maßgebliche Bedeutung zu. Was können Entscheider bei der Personalauswahl tun, um die "richtigen" Kandidaten zu finden? Die Antworten liefert der Personalberater Ronald May.

Das Top-Management ist es, dem eine im wörtlichen Sinn entscheidende und maßgebliche Bedeutung zukommt. Die Entscheidungen des Managements sind es, die weit reichende Auswirkungen im gesamten Unternehmen haben.Das gilt selbstverständlich auch für die Besetzung von Funktionen und...
Das Top-Management ist es, dem eine im wörtlichen Sinn entscheidende und maßgebliche Bedeutung zukommt. Die Entscheidungen des Managements sind es, die weit reichende Auswirkungen im gesamten Unternehmen haben.
Das gilt selbstverständlich auch für die Besetzung von Funktionen und Positionen. In diesem Sinn versinnbildlicht die Metapher vom Fisch, wo sich die entscheidenden Hebel befinden, um Fehlbesetzungen zu vermeiden.
Erfolgsfaktor Nummer eins

Es geht um Vorbeugung: Welchen Beitrag können die Personen aus der Entscheidungszentrale leisten, um Fehlbesetzungen zu verhindern? Wir leben nicht im Elfenbeinturm; deshalb passiert es in der Praxis, dass ein Kandidat falsch platziert wird. Dann geht es darum, den Schaden zu beheben. Man kann auch sagen: um Regeneration. Was können die Entscheider tun, um sie zu beschleunigen? Schließlich geht es um eine möglichst optimale Platzierung. Die Frage ist dann, was die Entscheider bereits bei der Kandidatenauswahl tun können, um die oder den Geeigneten zu finden.
Mitarbeiter mit und ohne Führungsverantwortung sind bekanntlich das A und O für den Erfolg des Unternehmens. Erstaunlicherweise werden Personalentscheidungen dieser tragenden Bedeutung noch immer wenig gerecht.
Dies in mindestens zwei Richtungen: Die einen werden von Personalern und/oder Chefs gehätschelt und befördert, die anderen vernachlässigt und vergessen - und zwar weitgehend unabhängig von faktischen Leistungen und Qualifikation.
Hier wirkt das Matthäus-Prinzip: "Wer hat, dem wird gegeben" - nicht aus Böswilligkeit (obwohl auch das vorkommt), sondern aus anderen Gründen. Einer davon liegt in der Überforderung vor allem von Personalern und Chefs, die sich für einen Kandidaten entscheiden sollen.
Risikofaktor Führungsposition
Besonders zeigt sich das bei Kandidaten von außen - aus der Fremde. Wir fokussieren nicht den "Spatz in der Hand", sondern die "Taube auf dem Dach".
Der "Spatz in der Hand" verweist auf die Illusion interner Besetzungspolitik: "Da weiß ich, was ich habe". Die Erfahrung zeigt, dass es ein Irrtum ist, zu meinen, dass selbst bei internen Besetzungen klar ist, "was man hat". Sie kennen das: Im Team A läuft Kollegin B zur Hochform auf und stürzt, nachdem sie ins Team B versetzt wurde, quasi in Lichtgeschwindigkeit vom Leistungshimmel - schlicht, weil der Kontext ein anderer ist.
Für die Besetzung von Funktionen mit Kandidaten von außen gilt eher das Motto "Wer nicht wagt, der nicht gewinnt" - dies allerdings als kalkuliertes Risiko und folglich mit einem Mindestgrad an Unsicherheit. Ein "Restrisiko" ist unvermeidbar. Erweist sich schon die interne Besetzung als virusanfällig - wie sieht es dann erst mit der externen Besetzung aus?
Eine Studie der Managementberatung Kienbaum aus dem Jahr 2005 zeigt, dass zwischen fünf und 25 Prozent gefällter Personalentscheidungen innerhalb der ersten zwei Jahre vom Unternehmen oder von den neuen Mitarbeitern revidiert werden.
An weiteren zehn bis 15 Prozent der Anstellungen wird festgehalten, obwohl die Unzufriedenheit damit überwiegt. Die Erklärung dafür: "Kontinuitätsgründe". Diese Begründung mag zunächst einmal Kopfschütteln hervorrufen. Für die Rechner wird die Kostenkalkulation den Aha-Effekt auslösen.
Für die Psychologen sei diese Anmerkung angefügt: Sich von neu Eingestellten zu trennen, fällt zwar nicht so schwer wie die Verabschiedung von Altgedienten. Aber: Jedes Trennungsgespräch kostet Überwindung, weil die Nachricht die unangenehmste ist, die in einem Unternehmen überbracht werden kann.
Sie erfordert auch Risikobewusstsein, meist in der Form von Angst oder Furcht: Es passiert auch gestandenen Führungskräften, dass sie Nächte lang kaum schlafen, weil sie nicht einschätzen können, wie der Mitarbeiter auf die Kündigung reagieren wird. Männern fällt es übrigens besonders schwer, Frauen zu kündigen, "weil die auch schon einmal weinen - und dann weiß ich nicht, was ich tun soll...".
Psychologisch heikel ist die Situation des Trennungsgesprächs zudem, weil sich der Entscheider einen Fehler eingestehen muss. Das schadet dem Selbstwert - ein Grund dafür, dass trotz Unzufriedenheit an zumindest schlechten Entscheidungen festgehalten wird.
Fehlbesetzungen sind teuer
Eine grobe Kostenkalkulation kann eine Fehlbesetzung in Gang setzen. Die Spannweite von Schätzungen einer falschen Platzierung reicht von drei Monatsgehältern bis zu dem Dreifachen des Jahresverdienstes. Ferner wird vermutet, dass jede fünfte Entscheidung für einen neuen Mitarbeiter sich innerhalb der ersten sechs Monate als eine Fehlentscheidung entpuppt. Daher dauern Probezeiten inzwischen bis zu einem halben Jahr. Das lassen sich Anfänger gefallen, Profis jedoch nicht.
Eine betriebswirtschaftliche Kostenrechnung für die "Fehlinvestition" muss diverse Größen enthalten: Funktion und Gehaltsstufe, variable Anteile und deren präzise Messung - sowohl interne Kosten für die Suche (zum Beispiel Anzeigenschaltung) als auch externe (Einschalten von Personalberatern).
Oft vernachlässigt werden Kosten im Rahmen der Einarbeitung. Hier sollten nicht nur die individuelle Leistung, sondern weitere betroffene Abteilungen in den Blick geraten sowie Personenkreise, mit denen der neue Kollege zu tun hat bzw. in die hinein sein Wirken ausstrahlt.
Das können Kollegen anderer Abteilungen oder Teams genauso sein wie Kunden oder Mitbewerber, bei denen die Person infolge von Fehlleistungen oder von anders motiviertem kontraproduktivem Verhalten Schaden anrichten kann. Gemäß dem systemischen Blick sollten auch sachliche oder fachliche Fehl- oder sogenannte Minderleistungen und deren Breitenwirkung grob geschätzt werden.
Direkte und indirekte Kosten
Laut den Managementberatern von Kienbaum belaufen sich die direkten und indirekten Kosten einer Fehlbesetzung auf der Ebene eines Geschäftsführers oder einer vergleichbaren Funktion auf das bis zu Dreifache des Jahresgehaltes des Funktionsträgers. Rechnet man direkte und indirekte Kosten ein, können die Kosten faktisch zwischen dem 1,5- bis Dreifachen des Jahresgehalts liegen - bei Gehältern im sechsstelligen Bereich kann man nicht mehr von "Peanuts" sprechen.
Kienbaum etwa veranschlagt für die Rekrutierung eines Nachfolgers einer Führungskraft rund 140.000 Euro. Darin enthalten sind die Kosten für das Schalten von Anzeigen, verlorene Arbeitszeit durch Bewerbermanagement und Bewerbungsgespräche sowie Reisekosten. Hinzu kommen verminderte Arbeitsleistung während der Einarbeitungszeit und - in der Idealrechnung - deren Auswirkungen.
Wenn die Beschäftigung nicht mit dem Ablauf der Probezeit beendet wird, fällt häufig der Aufwand für eine Abfindung bzw. potenzielle gerichtliche Kontroversen an, die in die gesamte Summe bereits einkalkuliert sind.
Man kann den Kreis der Kostenschätzung noch erweitern, indem Kosten für entgangenes Geschäft, für eine wiederholte Suche, für Neubesetzung und Einarbeitung bis hin zu möglichen negativen Auswirkungen auf die Reputation des Unternehmens einbezogen werden.
Diese Ausführungen deuten an, inwiefern Personalentscheider unternehmerisches Verantwortungsbewusstsein zeigten, wenn sie sich solche Kalkulationen öfter vergegenwärtigen würden.
Der Mythos vom fertigen Experten
Immer wieder hören wir, ein Kandidat sei die "ideale" Besetzung - mit dem Zusatz: "wenn er nicht diese oder jene Macke hätte" oder "leider fehlt ihm aber diese oder jene Erfahrung oder Fähigkeit". Was tun? Wie lässt sich das Risiko einer Fehlbesetzung minimieren?
Unsere Aufforderung dazu: Personalentscheider sollten "ideal" ersetzen durch "in dem Zusammenhang, in dem die Position steht, der oder die am besten Geeignete". Sie sollten Abschied nehmen von der Idee, einen "fertigen" Experten oder Manager zu erhalten, der kontextunabhängig brilliert, und stattdessen bedenken, dass auch der glänzendste Kopf und der versierteste Profi sich am neuen Ort einleben müssen und "on the job" Fertigkeiten entfalten können, die vorher nicht sichtbar waren.
"Learning on the job" - verballhornt in der Wendung "Die Leber wächst mit ihren Aufgaben" - bildet das Faktum ab, dass in der Regel die Leistungsfähigkeit eines Kandidaten mit dem, was er konkret zu bewältigen hat, zunimmt.
5 Tipps: So vermeiden Sie Fehlbesetzungen
- Verfallen sie nicht der Ähnlichkeitsfalle im Bewerbungsgespräch; beurteilen Sie den Kandidaten im Kontext mit den Aufgaben. Die Ähnlichkeitsfalle ist allgegenwärtig. Ähnlichkeit provoziert - wenn die Analogie erlaubt ist - Inzest.
- Lassen Sie sich bei sensiblen Stellenbesetzungen nicht allein von Ihrem Bauchgefühl oder Intuitionen leiten. Sie nutzen dann zwar Ihr Kompendium aus Erfahrungen, Wissen, emotionaler Stimmung und Implikationen. So hilfreich dieser Kompass sein kann - er führt aber sehr häufig in die Irre.
- Man erliegt häufig der Illusion, ein dominant extrovertierter Bewerber sei prinzipiell der geeignete Kandidat für eine Führungsposition. Dies schon deshalb, weil er sowohl verbal als auch durch seine Beziehungsausrichtung beeindruckt. Das ist sicher eine Fehleinschätzung. Sie sollten mehr auf den Kontext achten, in dem der Kandidat in einer definierten Rolle mit definierter Verantwortung agieren wird -und dabei stark in Rechnung stellen, dass Reden keine Ziele realisiert.
- Machen Sie nicht automatisch Ihre fachlichen Koryphäen zu Führungskräften, beurteilen Sie sie nach den gleichen Kriterien, wie Sie auch externe Anwärter beurteilen. Denn fachliche Koryphäen tragen Erhebliches zum Unternehmenserfolg bei - allerdings nicht zwangsläufig in Führungspositionen!
- Einstellungstest und Assessment Center ergeben nur zum Teil valide Aussagen. Die geübten und in Testverfahren erfahrenen Kandidaten schneiden immer besser ab als die ungeübten, unerfahrenen, aber vielleicht besser geeigneten.