Rufmord im Web
Was tun gegen Cyber-Mobbing?
Psychologen wissen schon lange, dass jeder Opfer von Mobbing werden kann, ob in der Schule oder im Beruf. Gerade im Internet nimmt es für Betroffene sehr erniedrigende Formen an. Auf Facebook finden sich immer mehr regelrechte Mobbing-Gruppen.

Den wenigsten Eltern ist klar - und den Kindern selbst schon gar nicht -, dass sich die allgegenwärtigen Anfeindungen auf dem Schulhof auch online fortsetzen. Online ist das für die Betroffenen oft weitaus schmerzlicher, da sie das Internet als öffentlichen, weltweit zugänglichen Raum empfinden. Jeder Mensch kann theoretisch ihre Schande sehen.
Im Gegensatz zu früher hört das Mobben auch nach der Schule und in den Ferien nicht auf. Eine Studie der Universität Lüneburg aus dem Jahr 2009 ergab, dass sich jedes dritte Kind schon einmal gemobbt fühlte. Vierzehn Prozent der Opfer leiden mit Schlaf- und Befindlichkeitsstörungen dauerhaft darunter. Eine Pilotstudie der Uni Hohenheim von 2011 ergab, dass 22 Prozent der Schüler an zwei Schulen Opfer von Cybermobbing waren.
Die Täter waren gut in der Klasse integriert. Das bestätigt auch Mechthild Schäfer, Psychologin an der LMU München: "Die Täter sind in der Klasse allgemein anerkannt. Sie haben eine Strategie, die ist cool, die kommt an." Die Hälfte der Befragten einer Studie aus Bielefeld 2012 äußerten, dass gerade die Weitergabe privater Fotos für sie als besonders verletzlich wirkt. Beschimpfungen und Spott im Netz störten hingegen nur ein Viertel der Schüler.

Besonders bei Facebook wird gemobbt
Das Cybermobbing findet in erster Linie auf Facebook oder auf dem Handy statt. Es beginnt mit Beleidigungen, Beschimpfungen und Unterstellungen. Die Täter gründen Facebook-Gruppen ("xyz ist ein Arschloch") oder stellen anonym Seiten ins Web ("xyz ist schwul"). Sie filmen das Opfer, während sie es demütigen, und tauschen das Video über Handys aus.
Während die Täter ihre Erfolge feiern, ziehen sich die Opfer immer mehr zurück. Sie beziehen die Situation letztendlich auf sich und meinen: "Ich mach was falsch". Egal, was sie dann versuchen, die Täter werden es ins Lächerliche ziehen. Aus dieser Falle kommen sie ohne Hilfe von außen nicht mehr heraus.
Im Gegensatz zur landläufigen Meinung kann jeder Opfer von Mobbing werden. Nicht Außenseiter werden Mobbingopfer, sondern Mobbingopfer Außenseiter. Das wissen Psychologen seit Längerem: "Die Ursache von Mobbing liegt nicht auf der persönlichen Ebene. Betroffenen Kindern sollte man auf jeden Fall sagen: Ihr macht nichts falsch! Das hat extrem wenig damit zu tun, wie ihr seid oder was ihr macht.", bestätigt Mechthild Schäfer von der Uni München.
Die Untersuchungen ihrer Arbeitsgruppe ergaben, dass jedes zweite Mobbingopfer in der fünften oder sechsten Klasse sich stabilisiert, also dauerhaft gehänselt wird. Umgekehrt sind fast alle Gemobbten in höheren Klassen bereits zum Beginn ihrer Schulkarriere in diese Rolle gefallen. Das zeigt, wie wichtig ein frühes Eingreifen des Klassenlehrers ist.
Leider neigen viele Schulleitungen dazu, die Probleme unter den Tisch zu kehren: "So etwas gibt es an unserer Schule nicht!". Ihnen ist es lieber, das Opfer verlässt die Schule, anstatt, dass das Bild der Schule Kratzer bekommen könnte. Indirekt belohnt das die Täter noch.

In einigen Fällen endet Mobbing tödlich
Der dreizehnjährige Joel aus Klagenfurt nimmt sich im Mai 2010 das Leben, weil er über eine spezielle Mobbing-Seite als schwul diffamiert wird. Die Täter verbreiteten den Link über Facebook. Der schon seit Längerem gehänselte Joel ist so schockiert, dass er sich vor einen Zug wirft. Die Mobbing-Seite mit Sitz in den USA ist immer noch online.
Im November 2011 erhängt sich die zehnjährige Ashlynn aus Illinois im Kleiderschrank in ihrem Kinderzimmer, nachdem sich ihre Eltern geweigert hatten, sie von der Schule zu nehmen. Sie hat das tägliche Mobbing nicht mehr ausgehalten.
Im Mai 2012 wird ein zwanzigjähriger Student zu einer Haftstrafe von dreißig Tagen plus drei Jahre auf Bewährung plus der Zahlung von 11.000 Dollar Entschädigung verurteilt. Er hatte im Wohnheim einen Zimmergenossen mit dessen Liebhaber gefilmt und den Film im Internet veröffentlicht. Der unfreiwillig homosexuell geoutete Achtzehnjährige war daraufhin von einer Brücke in den Fluss gesprungen. Der Täter zeigte laut Gericht keine Schuldgefühle.
Im August 2012 begann in den Niederlanden der Prozess gegen drei Jugendliche, die gemeinsam den Tod der Fünfzehnjährigen Joyce beschlossen hatten. Zwei von ihnen, ein Pärchen, hatten dem dritten, einem ebenfalls Fünfzehnjährigen, hundert Euro bezahlt, um Joyce zu töten. Der Junge hat die Tat bereits gestanden. Joyce hatte die Mordauftraggeberin zuvor bei Facebook beleidigt.
Opfer werden nicht nur Kinder und Jugendliche
35 Prozent Lehrer gaben in einer britischen Studie an, schon einmal online gemobbt worden zu sein. Oft sind es auch hier peinliche Filme, die bei YouTube landen oder anstößige Fotomontagen. In vielen Fällen steckten Eltern dahinter, die sich am Lehrer für schlechte Noten rächen wollten.
Mobbing gibt es natürlich auch an anderen Arbeitsplätzen. Während in Umfragen oft drei Viertel der Arbeitnehmer angeben, sie seien schon gemobbt worden, sprechen wissenschaftliche Studien wie die von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz von drei Prozent der Arbeitnehmer, die dem Mobbing ausgesetzt sind.
Der Unterschied liegt wohl darin, dass das subjektive Empfinden oft "Mobbing!" schreit, wo es sich um die täglichen Reibereien im Job handelt. Mobbing ist ein bewusstes und dauerhaftes Quälen des anderen. Die hierarchische Richtung spielt dabei keine Rolle. Es gibt Mobbing durch Kollegen oder durch den Chef oder durch Untergebene.
Ratgeber: Cyber-Mobbing durch Sprachgebrauch der Eltern begünstigt
Die Methoden sind: Gängeln, dauerndes Kritisieren, gezieltes Gerüchte verbreiten, vom Informationsfluss ausschließen, vor Kollegen herabsetzen, mit sinnlosen oder unwürdigen Arbeiten zuschütten. Auch hier beziehen die Betroffenen die Vorwürfe oft auf sich, werden unsicher und beginnen, wirkliche Fehler zu machen. Das verstärkt das Problem weiter.
Betroffene müssen Mobbing nicht hinnehmen
Der Arbeitgeber hat eine Fürsorgepflicht und muss handeln. Geschieht das nicht, so kann der Betroffene fristlos kündigen und hat sogar einen Schadensersatzanspruch. Schwieriger ist der Nachweis des Mobbings, das Opfer sollte unbedingt ein Mobbing-Tagebuch führen, das alle Vorfälle dokumentiert. Falls Internetseiten vorhanden sind, sollte es diese ausdrucken.

Schmerzhaft ist es für jugendliche und erwachsene Opfer, wenn peinliche Inhalte dauerhaft im Netz sichtbar sind, schlimmer noch unter ihren echten Namen auffindbar. Hier hilft es, den entsprechenden Serverbetreiber zu informieren. Facebook hat ein eigenes Team, das alle gemeldeten Fälle prüft.
Melden kann der Betroffene Fotos, Personen oder Nachrichten. Einige Betroffene beklagen sich aber in Foren, dass die Reaktionszeiten sehr langsam sind. Auch andere Plattformen haben Buttons, um Inhalte zu melden, Youtube beispielsweise unter jedem Video.
Ratgeber: Wie Kinder das Internet missbrauchen
Ein hoffnungsloser Fall sind auf Mobbing spezialisierte Webserver im Ausland, wie der, wo die Mobbingseite gegen Joel aus Klagenfurt nicht aus der Welt zu bekommen ist. Den Betroffenen bleibt dann nicht viel übrig, als die eigene Reputation durch neue, positive Inhalte zu überlagern: ein eigener Youtube-Kanal oder ein Blog.

So wehren Sie sich gegen Rufmord und Mobbing
Mobbing muss man nicht hinnehmen. Sowohl für Kinder als auch Erwachsene gibt es Strategien dagegen.
- Das Gespräch suchen: Der erste wichtige Schritt ist, die Rede auf das Thema zu bringen. Eltern sollten mit den Kindern reden: "Man muss den Kindern klar machen, mit Reden haben sie keine Garantie, dass es besser wird, aber ohne Reden wird es unter Garantie schlimmer", sagt Psychologin Mechthild Schäfer.
- Lehrer/Vorgesetzten informieren: Eltern sollten als nächsten Schritt zum Klassenlehrer gehen, Arbeitnehmer zum Vorgesetzten. Sowohl Lehrer als auch Vorgesetzte sind verpflichtet, die Schulleitung oder Geschäftsführung zu informiern und Maßnahmen zu ergreifen. In der Schule hilft auch der Schulpsychologe. Schlimmstenfalls muss man das Kind von der Schule nehmen. Das bedeutet aber auch eine Belohnung für die Täter: Das Opfer muss gehen.
- Inhalte löschen lassen:Die betreffenden Inhalte verstoßen immer gegen Gesetze: Verleumdung, falsche Tatsachenbehauptung, Beleidigung etc. Inhalte auf deutschen Servern lassen sich meist schnell beseitigen.
- Rechtsanwalt oder Polizei: Als letzte Möglichkeit steht der juristische Weg offen. Den sollten Opfer oder deren Familie im Zweifel nicht scheuen.