Netzkultur
Die Top 9 der deutschen Shitstorms 2013
Das Jahr neigt sich dem Ende zu. Es ist also Zeit sich zu besinnen und die Shitstorms von 2013 Revue passieren zu lassen. Wir haben Ihnen unsere Top 9 der Shitstorms in Deutschland zusammengestellt. Den zehnten dürfen Sie bestimmen: Welcher Shitstorm in 2013 war für Sie so bemerkenswert, dass er die Top 10 vervollständigen könnte? Wir sind gespannt auf Ihre Vorschläge.

9. Platz: Mario Götze Mario Götzes Wechsel von Borussia Dortmund zu Bayern München war der Transferhammer der vergangenen Saison und ein Stich in die Brust eines jeden Borussen. Verwunderlich war, dass andere Spieler zuvor trotz Wechsel oder Wechselabsichten wenig Empörung ernteten. Doch diese...
9. Platz: Mario Götze
Mario Götzes Wechsel von Borussia Dortmund zu Bayern München war der Transferhammer der vergangenen Saison und ein Stich in die Brust eines jeden Borussen. Verwunderlich war, dass andere Spieler zuvor trotz Wechsel oder Wechselabsichten wenig Empörung ernteten. Doch dieser Wechsel war anders: Die Hiobsbotschaft wurde einen Tag vor dem Champions League-Spiel gegen Real Madrid bekannt. Noch dazu hatte Götze zuvor den Eindruck vermittelt, in Dortmund bleiben zu wollen.
Reichweite und Auswirkungen
Götze verlor 1.500 Likes pro Stunde und das Wort "Judas" war wohl das am meisten verwendete auf dem Facebook-Profil des Fußballstars. Binnen einer Woche trafen 3.000 Kommentare - also mehr als 400 pro Tag - auf seinem Facebook-Profil ein. Während die Likes durch Fans des FC Bayern relativ schnell wieder ausgeglichen wurden, ebbten die enttäuschten Kommentare der BVB-Fans lange Zeit nicht ab. Teilweise treffen noch heute Anfeindungen auf dem Facebook-Profil ein. Götze äußerte sich auf Facebook nie darüber, ob er Verständnis für die Enttäuschung hatte. Lediglich zu einer Klage gegen einen Rap-Song seiner Ex-Fans ließ er sich hinreißen. In einem Interview bei Sky gab er allerdings vor kurzem einen kleinen Einblick dazu, ob er die Enttäuschung verstehen könne.
8. Platz: Die deutsche Bahn
Bahn-Kundin Franziska Dobers postete im Januar einen öffentlichen Trennungsbrief, in dem Sie mit der Deutschen Bahn Schluss machte. Zu oft habe sie der Zugdienstleister versetzt, nun sei es Zeit für einen neuen Partner an ihrer Seite. Sein Name: Opel. Auszug:
Ich brauche jemanden an meiner Seite der zuverlässig ist, nicht nur mein Geld will und auch bereit ist auf meine Bedürfnisse einzugehen. Und ich habe so jemanden kennengelernt. Er nennt sich Opel und ist immer für mich da. Leider werdet ihr euch nicht kennen lernen.
Nicht auszuschließen ist, dass dies ein versteckte PR-Aktion von Opel war.
Reichweite und Auswirkungen
Die Tonalität des Postings traf den Nerv vieler Bahnfahrer. Entsprechend schilderten unter Dobers Post viele, wütendere Kunden weitere Verfehlungen. Das Beschwerdeposting sammelte 800 Kommentare und 9.500 Likes. Die Bahn reagierte kreativ und antwortete ebenfalls im Stil eines Liebesbriefs. Auszug:
Ich weiß, dass ich in der Vergangenheit viele Fehler gemacht habe und nicht immer pünktlich bei unseren Treffen war. Dafür möchte ich mich in aller Form bei Dir entschuldigen. Ich habe die Zeit mir Dir sehr genossen. Manchmal wollte ich, dass sie kein Ende hat. Das ich manchmal anhänglich bin, weiß ich. Es fällt mir schwer loszulassen...
Ergebnis: ein unerhaltsames Geplänkel mit der scheidenden Kundin, das erhebliche Aufmerksamkeit auf sich zog. Prompt reagierten auch andere Social Media-Verantwortliche. So meldete sich Renault zu Wort und zeigte sich von Dobers enttäuchscht:
Das Du nun mit diesem Opel gehst, macht mich natürlich sehr traurig. Trotzdem wünsche ich euch beiden alles Gute für die Zukunft.
Ich werde Dich nie im Stich lassen, Dich immer warm halten und immer pünktlich sein.
Die Asstel-Versicherung bot dann gleich mal die passende Versicherung an, Mobile.de propagierte die Idee von Auto-Kurzbeziehungen. Zum ersten Mal probierten hier Social Media-Verantwortliche den Dialog zwischen Marken aus. Obwohl dies von den Mitlesenden sehr positiv aufgenommen wurde, gab es im Verlauf des Jahres kein solch geballtes Zusammentreffen verschiedener Marken-Accounts mehr.
7. Platz: Bushido
Bushido ist immer wieder für einen gepflegten Shitstorm gut - erinnern wir uns nur an die Debatten um die Vergabe des Goldenen Bambi an den umstrittenen Rapper. Diesmal hetzte er im Song "Stress ohne Grund" gegen namentlich genannte Politiker in einer Art, die von vielen als Mordaufruf verstanden wurde. Das Video zum Song postete Bushido am 11. Juli kommentarlos.
Reichweite und Auswirkungen
Die Posts, die der Rapper in den folgenden Tagen veröffentlichte, sammelten in Summe 10.500 Kommentare und 35.000 Likes. Nicht nur die User empörten sich: Klaus Wowereit erstattete Anzeige gegen Bushido. Claudia Roth äußerte sich auf dem Christopher Street Day in München. Onkel Bernis Welt bastelte unterdessen aus den Shitstorm-Kommentaren eine neue, lustige Version des Songs, die das Prollgehabe der Rapper clever verspottete. Während die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien den Song auf den Index setzte, äußerte Bushido sich bei N24 zu seinem Verhalten. Er sagte, es sei eine Retourkutsche gewesen.
6. Platz: Amazon
Im Nachgang einer ARD-Dokumentation zu Leiharbeit bei Amazon am Aschermittwoch sah sich der Online-Händler einem Shitstorm ausgesetzt. Die ARD berichtete in einem wenig ausgewogenen Stück im Februar über zweifelhafte Unterbringungsmethoden und Sicherheitsdienst mit sehr rechten Anwandlungen.
Reichweite und Auswirkungen
Bereits in der Nacht vom Aschermittwoch zum Valentinstag hagelte es Beschimpfungen und Wutausbrüche auf der Facebookseite von Amazon. Binnen zwei Wochen wuchs die Kommentarflut auf 18.000 an. Von Seiten Amazons gab es keine Reaktion, die Seite verwilderte im Shitstorm. Gut vier Tage nach dem ARD-Bericht gab Amazon eine Pressemitteilung ab, und beendete die Vertragsverhältnisse mit den entsprechenden Zeitarbeits-Unternehmen und dem Sicherheitsdienst. Kürzlich startete Amazon ein Logistik-Blog um seine Sicht und die namentlich genannter Mitarbeiter darzulegen.
5. Platz: Rewe
Der Handelskonzern Rewe wechselte die Verpackung des Eistees seiner Hausmarke "ja" von Tetrapak auf Pfandflaschen. Ein Nutzer namens Stony Calopezzati beschwerte sich nicht nur darüber, sondern übte detaillierte Kritik: Unter anderem sei es schwerer, aus den Flaschen zu trinken als aus dem Karton.
Reichweite und Auswirkungen
Bis heute sammelte der Post mehr als 87.000 Likes, 1.500 Shares und 4.700 Kommentare. Eine Antwort des Rewe-Teams gab es bis heute nicht. Der Eistee wird weiter in Flaschen verkauft.
4. Platz: McDonald's
McDonald's versuchte sich ab Februar am Trendthema Currywurst. Das Ergebnis gefiel den Facebook-Fans der Marke so gar nicht. Unter anderem postete der User Schmalle Fdsb ein Foto seiner erstandenen Wurst mit der Widmung:
.....HOFFENTLICH BEKOMMT IHR JEDE MENGE KLAGEN AN DEN HALS; FÜR DIESEN DRECK 2,99 EURO. IHR SOLLTET EUCH IN GRUND UND BODEN SCHÄMEN !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
Zu sehen war nicht nur das Foto seiner Wurst, sondern auch das Foto aus der Werbung - der Unterschied fiel signifikant aus.
Reichweite und Auswirkungen
Der Post ist noch heute zu sehen, ebenso seine 108.000 Likes, 17.000 Shares und 16.000 Kommentare. Die Currywurst bei McDonald's wurde inzwischen aus dem Produktportfolio genommen - ob es am Shitstorm lag, st unklar.
3. Platz: Royal Canin
Es war eine grausame Aktion in der Ukraine, von der der Tierschutzverein Vier Pfoten e.V. zu berichten hatte: In einem YouTube-Video wurde ein illegaler Bärenkampf dokumentiert. Ein Mitarbeiter schilderte im Juli die Grausamkeiten, die Bären in ihrem kurzen, erbärmlichen Leben zu erwarten hatten. Am Ende des Videos schillerten die Pokale für die Siegerteams - dekoriert mit dem Logo von Royal Canin.
Reichweite und Auswirkungen
Prompt liefen die User auf der Facebook-Seite des Tierfutterherstellers Sturm. Das Video wurde bis heute mehr als 260.000mal angesehen. Der Shitstorm schwappte auch auf Fressnapf über: Das Handelsunternehmen für Tierzubehör wurde von einer Vielzahl von Usern zur Rede gestellt, wie man mit Royal Canin Geschäfte machen könne.
Interessant waren die unterschiedlichen Reaktionsmuster der Firmen. Royal Canin reagierte mit minimalem Aufwand. In einer Pressemitteilung gab man bekannt, schockiert zu sein, die Bärenkämpfe würden gegen die Firmenethik verstoßen. Man habe nach dem Bericht alle Niederlassungen informiert, dass diese Richtlinien für die Zukunft auch einzuhalten seien. Die Bärenkämpfe habe man versehentlich unterstützt.
Dagegen stellte Fressnapf Royal Canin öffentlich mit einem Fragenkatalog zur Rede. Zudem warf man dem Geschäftspartner vor, keine überzeugenden Folgergungen zu ziehen. Bis zur Beantwortung der Fragen und dem Commitment zu angemessenen Schritten stellte Fressnapf alle Gespräche zum aktiven Warengeschäft ein.
Diese Reaktion hatte Erfolg: Einerseits konnte man zusammen mit den Shitstormern auf die Reaktion Royal Canins warten, und sich währenddessen munter darüber unterhalten, mit welchen Ausweichprodukten aus dem Fressnapf-Sortiment man Royal Canin austauschen könnte. Andererseits lenkte Royal Canin ein: Zusammen mit Vier Pfoten e.V.betreibt der Tierfutterhersteller heute eine Rettungsstation für die misshandelten Bären.
2. Platz: Barilla
"Wir werden keine Werbung mit Homosexuellen schalten, weil wir die traditionelle Familie unterstützen. Wenn Homosexuellen das nicht gefalle, sollten sie zu einer anderen Marke gehen... Jeder darf machen was immer er will, solange man Dritte damit nicht belästigt" sagte Guido Barilla in einem Interview im September.
Reichweite und Auswirkungen
Vier Tage nach dem Interview erfolgten laut unserer Messung mit Buzzrank weltweit knapp 150.000 Erwähnungen der Marke Barilla in sozialen Medien. Auf Facebook posteten User massenhaft Fotos von Barilla-Produkten im Mülleimer. 3.000 Kommentare trafen auf dem deutschen Facebook-Profil von Barilla ein. Auch in den klassischen Medien wurde der Fall behandelt. Guido Barilla entschuldigte sich öffentlich auf Facebook und versprach, sich mit Repräsentanten der homosexuellen Szene zu treffen. In den USA führte diese Entschuldigung sogar zu einem Kleinkrieg zwischen homophoben und homophilen Nutzern auf der lokalen Facebookseite von Barilla.
1. Platz: Deutsche Telekom
Keine Pressemitteilung erregte die Gemüter der Deutschen wie die der Deutschen Telekom vom 22.04.2013: Ganz nebensächlich wurden Änderungen in der Tarifstruktur für Privatkunden angekündigt. Die Flatrate sollten zu etwas gemacht werden, was keine Flatrate mehr gewesen wäre. Ab einem bestimmten Surfvolumen sollte die Geschwindigkeit gedrosselt werden, während eigene Services davon nicht betroffen gewesen wären. Durch dieses Vorgehen wäre die Netzneutralität ausgehebelt worden. Auch Altverträge sollten betroffen sein.
Reichweite und Auswirkungen
Der Telekom-Shitstorm ist in Sachen Maßzahlen schwer rekonstruierbar. Dennoch ist es wohl gefühlt der heftigste Shitstorms des Jahres gewesen. Binnen weniger Stunden stürzten sich erst die großen Blogs, dann die traditionellen Medien wie die Tagesschau, n-tv, Spiegel Online, Die Welt oder Focus Online auf das Thema. Im Social Web gab es ca. 9.000 Mentions innerhalb der ersten drei Tage nach der Bekanntgabe der Drosselungspläne. Bedient man sich anderen Maßzahlen, wird das Ausmaß des Shitstorms erst so richtig sichtbar: Eine Petition bei change.org erlangte bis heute 150.000 Unterschriften. Ebenso liefert noch heute eine Google-Suche nach "Drosselkom" ca. 120.000 Ergebnisse.
Zahlreiche einflussreiche Influencer mischten sich in den Shitstorm ein, darunter Sascha Lobo und Mario Sixtus. Werbebotschaften der Telekom wurden an anderer Stelle aufgegriffen und sarkastisch modifiziert. Politiker mischten sich ein. Die Telekom saß den Shitstorm lange aus und lenkte nach 45 Tagen minimal ein. Inzwischen hat das Kölner Landgericht nach einer Klage des Verbraucherschutzes NRW die Pläne des Konzerns allerdings für nichtig erklärt.
Im Nachhinein wurden die Drosselungen in Altverträgen rückgängig gemacht. Die Tarife mit Drosselung erhielten eine neue Formulierung: Sie heißen nun der bezahlten Leistung entsprechend Volumentarife. Die traditionellen Flatrates gibt es weiterhin, allerdings stellen sie die teuerste Variante des Tarifportfolios dar. Was wohl die Behauptung widerlegen dürfte, dass Shitstorms keine Wirkung auf die betroffenen Unternehmen haben.