"Wer Native Advertising einmal gemacht hat, will es wieder machen"
Für manche ist Buzzfeed die Zukunft der Nachrichten, für andere der Tod des Journalismus. Was denkt Buzzfeed-Gründer Jonah Peretti? Das verrät er uns im Interview.

Jonah Peretti hat die Macht des Social Web am eigenen Leib erlebt. Alles begann mit dem Versuch, einen personalisierbaren NikeID-Turnschuh mit dem Wort >>Sweatshop<< besticken zu lassen. Sein Ansinnen wurde abgelehnt und den folgenden E-Mail-Schriftwechsel veröffentlichte Peretti in...
Jonah Peretti hat die Macht des Social Web am eigenen Leib erlebt. Alles begann mit dem Versuch, einen personalisierbaren NikeID-Turnschuh mit dem Wort >>Sweatshop<< besticken zu lassen. Sein Ansinnen wurde abgelehnt und den folgenden E-Mail-Schriftwechsel veröffentlichte Peretti in einem Blog. Er landete damit in den Nach- richten zur Hauptsendezeit und auf den Sesseln der Late Night Talker. Seine letzte Bitte an Nike: >>Könnten Sie mir dann wenigstens ein Bild von der kleinen Vietnamesin schicken, die den Schuh zusammengenäht hat?<<
Peretti denkt quer und er denkt unangenehm. Er denkt journalistisch, ist aber gleichzeitig ein glühender Anhänger des Social Web. Und an genau dieser Schnittstelle ist Buzzfeed angesiedelt, sein weltweit diskutiertes Portal.
Hier wird Content bewusst so gestaltet, dass er möglichst einfach weiterzuleiten ist. Mit Listen ist der Dienst anfangs schnell gewachsen. Listen mit so hochwertigem redaktionellen Inhalt wie >>10 Sachen, die Sie nicht zu einer Frau beim ersten Date sagen sollten<<. Katzenfotos, extrem vereinfachende Infografiken, kleine Ratespiele - emotionalisierender Social Media Content eben. Doch weil Buzzfeed schnell gewachsen ist, kann es sich Peretti heute leisten, immer neue Formate und Inhalte beizusteuern. Dazu gehört auch die 600-Wort-Hintergrundberichterstattung oder die Live-Reportage von den Krawallen aus Kiew. Also doch Journalismus.
Um das gewinnbringend zu tun, setzt Buzzfeed drei Instrumente ein:
Das Sharing der Inhalte wird so einfach wie möglich gemacht. Hierbei greift Buzzfeed sogar auf Personalisierungstechniken zurück: >>Wer von Pinterest kommt, verbreitet Posts in der Regel nicht über Twitter, also bekommt er den Twitter-Button nur ganz klein angezeigt, den für Pinterest aber ganz groß<<, sagte Peretti auf der Hamburger Konferenz Online Marketing Rockstars Ende Februar.
Die Redaktion ist angehalten, über das Offensichtliche hinaus zu denken. >>Passiert eine schlimme Katastrophe, dann ist danach die Teilungsbereitschaft für gute Nachrichten viel höher<<, sagt Peretti. Heraus kommt dann die Liste >>Zehn Gründe, warum Sie den Glauben an die Menschheit nicht verlieren sollten<<.
Buzzfeed setzt ganz auf Native Advertising. Keine blinkenden Banner oder unterbrechende Werbung, sondern von Werbern und Agenturen erzeugte Inhalte, die mit den Redaktionsberichten um die Höhe der Interaktionsrate konkurrieren. >>Banner<<, so Peretti, >>sind ein Unfall der Geschichte.<< Der Ansatz scheint zu funktionieren. 120 Millionen Unique Users pro Monat, 400 feste Mitarbeiter, 180 davon in Redak- tionen und insgesamt vier Standorte in New York, Los Angeles, Sao Paolo und jetzt Berlin.
Wir trafen Jonah Peretti in Hamburg.
Herr Peretti, wie wirkt sich der Kauf von Whatsapp durch Facebook auf die Social-Media-Landschaft aus?
Von außen ist es immer schwer zu beurteilen, ob etwas ein gutes Geschäft ist oder nicht. Selbst wenn man alle Informationen hat, ist es schwierig, weil man ja die Zukunft nicht vorhersagen kann. Aber mein erster Eindruck war, dass es ein sehr kluger Schachzug von Facebook war. Wenn man die Zahl der monatlich aktiven Nutzer betrachtet, die Whatsapp haben, ist es ja sogar stärker als Twitter. Und der veranschlagte Wert war gemessen an der Marktkapitalisierung weniger als der von Twitter. Ich bin zwar kein Finanzexperte, aber ausgehend von der riesigen Reichweite ist das ein strategisch wichtiger Schritt für Facebook. Wir sehen auch heute schon eine große Sharing-Aktivität auf Whatsapp, was die Inhalte von Buzzfeed angeht. Da Mobile die größte Computing-Plattform wird, hat die Kombination Social Media und Mobile, die Whatsapp verkörpert, einen immensen Wert für Facebook.
Ist Whatsapp das neue Facebook?
Nein, sicher nicht als Plattform. Aber es gibt Parallelen. Social Media ist komplex. Es gibt virale Inhalte mit enormer Reichweite, die aber kaum Engagement erzielen, mal abgesehen vom Sharing selbst. Und es gibt kleine Community-Websites, die ein enormes Engagement der Zielgruppe auslösen, aber viral nie wirklich abgehen. Facebook hatte beides von Anfang an und dadurch wuchs es so schnell. Und tatsächlich hat Whatsapp heute ebenfalls beides. Die Kombination aus massivem Wachstum und viel Engagement ist enorm wirkungsstark.
Das Werbekonzept von Buzzfeed ist Native Advertising. Kann man sich vorstellen, dass das auch eine Idee wäre, Whatsapp zu monetarisieren?
Das kann ich nicht beurteilen. Wir sind ein Medienhaus, kein soziales Netzwerk. Tatsächlich wäre ich glaube ich kein guter Geschäftsführer für ein soziales Netzwerk. Ich kann also nur für uns selbst sprechen und da haben wir gesehen, dass Native Advertising mobil besser funktioniert als auf dem Desktop. Die Klickraten auf Branded Content in der Buzzfeed-App sind höher als auf dem Desktop. Wir sehen hier den Wechsel hin zu Mobile sehr deutlich.
Aber natürlich ist ein Soziales Netzwerk wie Whatsapp der perfekte Transmissionsmechanismus für Native Advertising. Wenn das gut gemacht ist, dann ist es keine Werbung mehr. Dann ist es einfach ein weiteres Stück Content aus anderer Quelle. Die User leiten das weiter, ohne das Gefühl zu haben, dass sie indirekt Werbung machen für eine Firma. Also: Ja, ich glaube das könnte ein Ansatz sein, der funktioniert.
Für uns Deutsche hat Branded Content immer den faden Beigeschmack einer zu engen Beziehung zwischen Redaktion und Werbung. Sehen Sie das anders?
Nein, überhaupt nicht. Ich bin von ganzem Herzen Journalist und trenne das sehr klar. Sie werden auf Buzzfeed kein Sponsoring finden, das nicht klar als solches gekennzeichnet ist. Für mich ist Native Advertising nur ein Weg hin zu besserer Werbung. Die Messlatte für die Unternehmen und Agenturen liegt ziemlich hoch, weil es so viel Spannendes und Lustiges gibt, dass man weiterleiten kann. Diese Weiterleitung muss sich der Werber eben verdienen.
Gibt es in den USA Unternehmen, die Angst haben, über Native Advertising zu viel ihrer Markenidentität aufgeben zu müssen?
Nein. Wir haben mit den meisten der Top- 10-Werber zusammengearbeitet. Die Marken erkennen den Wert von Native Advertising, sie wollen ihre Geschichten erzählen und nicht in einem nervigen Banner gefangen sein. Ganz am Anfang gab es Widerstände, weil die Werber noch nicht wussten, wie das funktioniert und wie viel Aufwand es bedeutet. Hier kommen wir ins Spiel. Wir übernehmen das ganze anstrengende Zeug. Das Seeding, die Messung, das Reporting. Und jeder der es mal gemacht hat, will es wieder machen.
In Deutschland beklagen viele Agenturen, dass es zum Beispiel von Facebook keine Agenturvergütung gibt, obwohl das Targeting eine sehr au wändige und kleinteilige Arbeit ist. Hat Buzzfeed ein Agenturmodell?
Der meiste Umsatz kommt von Agenturen. Es gibt aber auch viele Werbetreibende, die direkt mit uns zusammenarbeiten. Wir passen uns den jeweiligen Gepflogenheiten in den Märkten an.
Was braucht es für Buzzfeed, um in Deutschland erfolgreich zu werden?
Wir haben viel in London gelernt. Selbst LA war schon ganz anders als New York. In manchen Bereichen ist New York ähnlicher zu Europa als zu Kalifornien. Als wir begonnen haben zu expandieren, haben wir schnell gesehen, dass in jeder Region oder in jedem Land viel Talent angesiedelt ist. Das kann man nur vor Ort abrufen. Jede Region hat eine andere Art zu denken, eine andere Kultur. Zum Beispiel kamen viele tolle Satirestücke aus London und waren ein riesiger Erfolg in den USA. Was wir jetzt mit der Expansion nach Sao Paulo, Paris und Berlin erreichen wollen, sind internati- onale Varianten von Buzzfeed mit lokalem Flair. Sie bilden die Kultur, Mentalität und Themen der Region ab und verbinden diese gleichzeitig mit dem Rest von Buzzfeed.
Und wie geht man dann mit internationalen Sprachen um?
Was gut läuft, wird übersetzt. Wir haben schon jetzt eine Millionen Leser im Monat aus Deutschland, obwohl wir nicht auf Deutsch veröffentlichen und nicht auf spezifisch deutsche Themen eingehen. Da gibt es eben ein internationales Interesse. Die Themen, bei denen die englisch-sprachigen Nutzer heute schon besonderes Interesse zeigen, werden in Portugiesisch, Spanisch und Französisch übersetzt. Deutsch kommt als Nächstes.
Wie wichtig sind für so einen großen Ansatz die Lokalthemen?
Extrem wichtig. Die Identität der Menschen ist eine lokale. Eines der populärsten Stücke in UK war ein Post über Menschen aus dem Norden Großbritanniens, die nach dem Studien zum Arbeiten nach London ziehen. Die haben eine ganz andere Mentalität. Wenn deren Londoner Kolle- gen das Stück gelesen haben, verstehen sie besser, wie die Mitarbeiter denken und fühlen. Nachrichten machen wir nicht auf lokaler Ebene, aber Themen der lokalen Identität auf jeden Fall.
Buzzfeed wird von vielen als Totengräber des Journalismus wahrgenommen. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, verändert sich der Journalismus gar nicht, er sucht nur neue Wege.
Einige Dinge ändern sich, aber der Kern bleibt. Die Trennung zwischen Werbung und Redaktion, die Techniken, also Interviews, investigative Recherche oder die Idee der Übertragung von Wissen von Experten zu den Lesern. Man mag heute neue Bewertungsmaßstäbe für die Qualität haben oder neue Werkzeuge benutzen - zum Beispiel verabreden viele unserer Reporter Interviews, in dem Sie den Gesprächspartner via Twitter ansprechen - und wenn die Mischung gelingt, kombinieren wir das Beste aus beiden Welten.